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Cannabis-Irrtümer und -Mythen … und ihre Entlarvung
Im Zuge der allmählichen Popularisierung des Cannabis kommen immer wieder auch ältere und neuere Mythen aufs Tapet, die eine Diskussion um den Konsum von Cannabis als Medizin und auch zu Genusszwecken befeuern. Kaum jemand weiß tatsächlich einzuordnen, welche Mythen eine annähernd realistische Basis haben und welche komplett dem Reiche der Fantasie entspringen. Dabei gehen zwar die meisten der Cannabis-Mythen auf das Konto der Prohibitionisten, die sich – dem Beispiel des Erfinders des Cannabisverbots Harry J. Anslinger folgend – zahlreiche Märchen rund um den Hanf schlichtweg ausgedacht haben, um die Pflanze und ihre sogenannten „Drogenprodukte“ zu diskreditieren und im Illegalen zu halten. Es gibt aber auch Gerüchte und Mythen, die nicht wirklich auf dem Mist der „Drogengegner“ gewachsen sind, die sich aber dennoch genauso halten und kaum aus der Sammlung irriger Gemeinplätze zu verbannen sind. Die schöne neue Cannabiswelt, wie sie in der Vorstellung einiger Zeitgenossen existiert, ist jedoch nur ein Wunschtraum vieler Hänflinge. Realistisch ist das entsprechende Bild, das von manchen gezeichnet wird, aber nun wirklich nicht. Werfen wir einen Blick auf die gängigsten, dämlichsten und irrigsten Vorurteile, die sich rund um die Hanfpflanze ranken.
Kiffen ist in Deutschland verboten
Ein Mythos, der sich hartnäckig hält. Zwar sind in Deutschland der Erwerb und Besitz sowie die Herstellung und Weitergabe verboten. Das Kiffen an und für sich ist es jedoch nicht. Für den Konsum von Cannabis und seinen Produkten gibt es in Deutschland kein explizites Verbot, was jedoch eine juristische Spitzfindigkeit ist. Denn wie soll man legal konsumieren, wenn man auf der anderen Seite nur illegalerweise an den Stoff herankommt? Es gibt in der Praxis Lösungen: Wenn dir z. B. jemand einen Joint hinhält und dich ziehen lässt, dann kiffst du völlig im Rahmen des Gesetzes – strafbar macht sich nur derjenige, der den Joint besitzt und dir anbietet. Und zwar auf zweierlei Weise: Erstens ist er im Besitz von Cannabis und zweitens gibt er es weiter, betätigt sich also in diesem Augenblick als „Dealer“. Sagt er dann vor dem Gang aufs Klo noch etwa: „Hier, halt mal meine Tüte“, macht er sich zusätzlich der Aufforderung zur Begehung einer Straftat schuldig, weil er dich ja nötigt, sein Cannabis für eine gewisse Zeit zu besitzen. Auch wenn er der eigentliche Eigentümer des verbotenen Produkts ist, so ist schon der bloße zeitweilige Besitz in Deutschland strafbar. In der Schweiz ist es übrigens umgekehrt: Der Besitz von bis zu zehn Gramm Eigenbedarf wird dort nicht mehr geahndet, der Konsum von Cannabis ist hingegen verboten. Auch irgendwie witzig, wenn es nicht so traurig wäre.
Cannabis führt automatisch zu anderen, auch härteren Drogen
Die These von der „Einstiegsdroge“. Wie oft wurde sie schon im politischen Diskurs bemüht. Und sie lässt sich nur langsam aus dem Gedankengut der Gesellschaft verbannen. Dabei ist die Widerlegung dieses Postulats so einfach und erfordert nur ein simples Gedankenspiel: Die geschätzten vier Millionen Kiffer in Deutschland müssten dem Mythos zufolge alle nach einer gewissen Zeit an der Opiat-Nadel oder am Coca-Schnupfrohr hängen oder sich sonstwo im Schmutz der an den Rand der Gesellschaft gedrängten Szene von Nutzern harter Substanzen wälzen. Dem ist aber nicht so. Im Gegenteil: Es gibt eine große Anzahl von Kiffern, die überhaupt keine anderen Substanzen zu sich nehmen. Wenn in dieser Gesellschaft überhaupt etwas als Einstiegsdroge bezeichnet werden kann, dann die akzeptierten und ins öffentliche Leben eingebetteten Drogen Alkohol und Nikotin bzw. Tabak. Denn dies sind diejenigen Rauschmittel, mit denen unsere Kinder von Anfang an konfrontiert werden und die aufgrund der ständigen Verfügbarkeit als „recht harmlos“ betrachtet werden – obwohl sie es beileibe nicht sind.
Cannabis ist harmlos und beeinträchtigt die Gehirnentwicklung nicht
Auch nicht wahr. Wer behauptet, auch elfjährige Sprösslinge könnten problem- und gefahrlos kiffen, der weiß nicht, was er redet. Bis etwa zum Alter von 25 Jahren befindet sich das menschliche Gehirn in der Regel in der Entwicklung. Die dauerhafte pharmakologische Veränderung der Hirnchemie kann da durchaus manipulativen Einfluss nehmen – und letztlich das Nervensystem bzw. das körpereigene Cannabinoidsystem (Endocannabinoidsystem) nachhaltig beeinträchtigen. Deshalb ist es von Vorteil, möglichst spät mit dem Kiffen anzufangen. Was nicht heißt, dass der Wochenendjoint beim 18-Jährigen verheerenden Schaden anrichten muss. Ein chronischer bzw. regelmäßiger Konsum vor allem größerer Mengen im Jugendlichenalter hat da schon eher das Potenzial, negativ auf die Entwicklung einzuwirken.
Cannabis hat das Potenzial, die Welt zu retten
Romantischer Ansatz, jedoch ein wenig überzogen. Wenn jemand diese Welt, unseren Lebensraum, noch zu retten in der Lage ist, dann diejenigen Gestalten, die seit Jahr und Tag daran arbeiten, die Erde zu einem unbewohnbaren Planten zu machen: die Menschen selber nämlich. Sicherlich weist der Hanf eine ganze Palette an Eigenschaften auf, die dazu beitragen können, die Kehrtwende unseres zerstörerischen Handelns einzuleiten. So ließe sich mit Hanf als Nutzpflanze z. B. verhindern, dass Regenwälder für die Papierherstellung gerodet werden. Überdies ließe sich aus Hanf sogar ein Kunststoff produzieren, der vollständig biologisch abbaubar ist. Außerdem hat Cannabis die Fähigkeit, Schadstoffe aus dem Boden zu ziehen und unschädlich zu machen. Nur deshalb wurde beispielsweise rund um Tschernobyl Hanf gepflanzt – damit das Cannabis die radioaktiven Gifte aus dem Erdreich herausholt. Auch kann der Hanf so manche nebenwirkungsbehaftete Medizin ersetzen. Das alles ist ein wunderbarer Ansatz, der helfen kann, unseren Lebensraum doch noch zu retten. Wenn wir Menschen allerdings so weitermachen wie bisher, wird auch die Cannabispflanze uns nicht mehr weiterhelfen können. Da nützen auch keine verträumten Illusionen, was uns direkt zum nächsten Punkt bringt.
Cannabis ist eine universelle Medizin, die alle anderen Pharmazeutika ersetzen kann
Solche Vorurteile werden von vielen geschürt, denen es auf echte Argumentation nicht so sehr ankommt. Der kanadische selbsternannte Pionier der Hanfmedizin zum Beispiel, Rick Simpson, der sich mit dem von ihm „erfundenen“ Cannabisöl (bekannt als Rick Simpson Oil, RSO) von seiner Krebserkrankung geheilt hat, behauptet, dass Hanfmedizin so gut wie alle schulmedizinischen Therapieansätze inklusive der dazugehörigen Pharmazeutika ersetzen kann. Das ist natürlich ein romantisch verklärter Trugschluss, der jeder Sachlichkeit entbehrt und sogar lebensgefährlich sein kann. Es gibt Medikamente, die durch Cannabis eben nicht ersetzt werden können – und jeder ernsthaft erkrankte Patient, der zugunsten des Hanfrauchens alle anderen Pharmaka absetzen will, sollte sich zuvor bestens erkundigen, ob dies eine gute Idee ist. So sollten zum Beispiel Menschen, die Betablocker oder andere Herzmedikamente einnehmen müssen, diese Mittel nicht ohne Weiteres weglassen, denn Cannabis kann diese in vielen Fällen nicht vollständig substituieren.
Eine Freigabe von Cannabis zerschlägt den Schwarzmarkt und damit die Kriminalität
Das hört sich ja ganz schön an, und sicherlich würde sich im Falle einer Re-Legalisierung des Hanfs auch einiges vom Schwarzmarkt erzeugtes Leid von selber in Wohlgefallen auflösen. Die These aber, dass mit dem Wegfall des Drogenverbots die Mafia und andere kriminelle Vereinigungen plötzlich nichts mehr zu tun haben, ist nicht haltbar. Wir wollen als Befürworter einer akzeptanzorientierten Drogenpolitik lieber realistisch bleiben und keine Versprechen beschwören, die anschließend nicht eingehalten werden können. Nur weil die Politik sich dazu eventuell entschließt, den Weg der Vernunft einzuschlagen, wird das noch lange nicht dazu führen, kriminelle Subjekte zu läutern und zu guten Menschen zu machen. Die Mafia wird dann einfach bewährte Betätigungsfelder wie Menschen- und Waffenhandel, Kriegstreibereien etc. vertiefen. Was natürlich in der Tat ein großer Vorteil der weltweiten Drogenlegalisierung wäre, ist die Tatsache, dass den Kartellen damit der eminenteste Teil ihres Gewinns flöten ginge. Immerhin ist das Geschäft mit den illegalisierten Substanzen das lukrativste Business überhaupt. Wenn dann durch eine Legalisierung dieser Geldfluss deutlich an Kraft verlöre, könnten die Gruppen organisierter Kriminalität zunächst einmal nicht mehr so frei agieren wie bisher.
Cannabis ist nicht chemisch, sondern ein gesundes Naturprodukt
Eine olle Kamelle, die immer wieder auf den Tisch der Hanf-Freunde kommt. „Naturprodukte sind was ganz Tolles und Gesundes, Chemie ist unnatürlich und gesundheitsschädigend.“
Das ist natürlich Unsinn. Das Problem dieses Mythos liegt im Unverständnis gegenüber der Eigenschaft und dem Wort „chemisch“. Zu behaupten, chemische Pharmaka seien ungesund, natürliche Arzneimittel und Drogen hingegen „besser für den Menschen“, zeugt von wenig Sachverstand, denn Natur ist immer „chemisch“: In Wirklichkeit ist unsere gesamte Welt das Produkt chemischer Prozesse. Das gilt für uns Menschen und unsere Körperfunktionen und das gilt im selben Maß für Pflanzen. Auch in ihnen, und das bezieht sich auf den Hanf wie auf alle anderen Gewächse, befinden sich chemische Substanzen, die dem Stoffwechsel der Organismen geschuldet sind und uns Menschen und Tieren als Heilmittel, aber auch als Gifte nützlich sein können. Um es auf den Punkt zu bringen: Alles ist chemisch.
Was der geneigte (ungebildete) Ökofreak auszudrücken gedenkt, ist die Tatsache, dass nicht alle chemischen Stoffe bisher auch in der Natur entdeckt worden sind (was aber nicht heißt, dass es sie dort nicht gibt). Sowas nennt man dann „Synthetik“. Und solche Verbindungen werden solange synthetisch genannt, wie sie nicht in natürlichen Quellen nachgewiesen worden sind. Aber auch das muss gar nichts heißen, denn die Grenzen verschwimmen zunehmend. Immer wieder bringe ich in meinen Texten und Publikationen das Beispiel von den Substanzen Diazepam (Valium) und Dimethyltryptamin (N,N-DMT), die ursprünglich von Chemikern im Labor „erfunden“ worden waren, bevor sie nach einiger Zeit als Naturstoffe nachgewiesen werden konnten. Auch das Paradebeispiel einer „Chemiearznei“ par excellence, der Antibiotika nämlich, ist Zielscheibe einseitiger Verteufelungen von Unwissenden. Nehmen wir nur das Penicillin. Vermeintlich ökologisch orientierte Eltern kreischen beim Wort Penicillin schon und würden sich eher ins eigene Bein schießen, als ihren Kindern diese „künstliche und unnatürliche Chemiescheiße“ verabreichen zu lassen. In Wirklichkeit stammt der Wirkstoff aber von einem echten Naturprodukt, nämlich vom Schimmelpilz Penicillium, dessen antibakterielle Wirksamkeit vom schottischen Bakteriologen Alexander Fleming 1928 durch einen Zufallsfund entdeckt wurde. Sicher, heutzutage werden die Wirkstoffe und Analoga „künstlich“ hergestellt – das ändert aber nichts an der Tatsache, dass es sich beim Penicillin eben nicht um „böse Synthetik“ handelt, sondern um einen Wirkstoff aus der Natur.
Cannabis ist gentechnisch verändert
Noch so ein Mythos, der sich in der totalen Unwissenheit begründet. Wir kennen zwar feminisierte Pflanzen und seit einigen Jahren auch das Automatik-Cannabis, das unter anderem aus Ruderalis-Anteilen besteht. Bei beiden Variationen setzt die Gemeinde der Züchter auf die Kreuzung verschiedener Cannabis-Genetiken (wie überhaupt das Wort „Genetik“ sehr häufig als Synonym für Pflanzen unterschiedlicher Herkunft und verschiedener pharmakologischer Profile verwendet wird). Eine genetische Manipulation der DNA, wie sie z. B. von Unternehmen wie Monsanto gepflegt wird, existiert in der Welt der Cannabis-Strains jedoch nicht. Alle neuen Hybriden und „Hightech-Pflanzen“ sind nicht an der DNA manipuliert, sondern das Ergebnis jahrelanger Selektion und Zuchtforschung. „Gen-Cannabis“ ist also ein reiner Mythos.
Cannabis ist keine Droge, sondern eine Wunderpflanze
Beide Begriffe sind unsinnig. Das Wort „Droge“ bezeichnet alles und nichts, und „Wunderpflanzen“ sind sie ja im Grunde alle, unsere Gewächse aus Gottes schönem Garten. Das Wort Droge wird in unserem Sprachraum überdies vollkommen falsch verwendet. Um zu erkennen, dass solche Terminologie dem Wandel der Zeit unterworfen ist, genügt es zu wissen, dass das Wort „Droge“ aus dem Niederländischen stammt (droog = trocken) und ursprünglich alle getrockneten Pflanzenteile bezeichnete, die als Arzneimittel Verwendung finden. Vor nicht all zu vielen Jahren benutzte man das Wort noch für Medikamente aller Couleur (was latent noch immer in unserer Gesellschaft schlummert, denn immerhin zieht sich auch niemand an der Bezeichnung Drogerie hoch), und erst in neuerer Zeit gilt das Wort „Droge“ als Bezeichnung für illegalisierte Rauschmittel. Eine Wunderpflanze ist Cannabis genauso wie der Schlafmohn, der Coca-Strauch und andere Gewächse, die uns helfen können, die Befindlichkeit, Gesundheit und so weiter zu verbessern. Cannabis ist da nicht der einzige Kandidat. Vergessen wir also diese Pauschalisierungen, die niemanden weiterbringen und die nur Verwirrung stiften.
Cannabis ist eine „gute Substanz“, andere Substanzen sind „schlecht“
Wer solchen Blödsinn postuliert, gehört in die Reihe der Prohibitionisten, denn er oder sie bedient sich der selben „Argumentation“ und Terminologie wie die Roboter des War on Drugs. Wenn Hanffreunde verkünden, wie ungemein gesund und unschädlich ihre Lieblingssubstanz und wie schlimm und fies z. B. der Alkohol ist, dann unterstreichen sie damit nur ihre Verblendung und Inkompetenz, über dies Thema überhaupt zu sprechen. In Wirklichkeit ist jedwede Substanz – egal welche – weder „gut“ noch „schlecht“. Es ist immer der Mensch, der mit seinem Verhalten maßgeblich beeinflusst, ob eine Substanz heilsame oder schädliche Wirkungen auslöst. Genauso wie der Hanf für den einen vorteilhaft sein und für den nächsten ungünstig wirken kann (immer unter Berücksichtigung der korrekten Handhabe), verhält es sich auch mit allen anderen Stoffen. Wer verkündet, Opiate seien „harte Drogen“ und deshalb abzulehnen, der ist offensichtlich noch niemals in die Verlegenheit geraten, von Morphin und Co. von unerträglichen Schmerzen befreit worden zu sein. Kurz gesagt: In der Hand des Arztes und im Falle eines medizinischen Bedarfs sind auch sogenannte harte Drogen ein Segen. Stoffgruppen zu verteufeln und abzulehnen, nur weil sie nicht zu einer wie auch immer gearteten Philosophie passen, IST de facto Drogenprohibition der schlimmsten Klasse. Solche „Hanffreunde“ sollten, wenn es um drogenpolitische Verhältnisse geht, tunlichst ihre Münder halten. Sie tun der Gesellschaft und sich selbst damit den größten Gefallen.
Markus Berger
Dieser Artikel stammt aus der grow! Ausgabe 6-2018. Wir veröffentlichen hier aus jeder neuen Ausgabe unseres Print-Magazins vier vollständige Artikel - erst als Leseproben, acht Wochen später als vollständige Texte, gratis für alle. Falls du diese Ausgabe nachbestellen möchtest, schau doch mal in unseren Shop. Alternativ findest du die Ausgabe auch als ePaper zum bequemen Lesen auf deinem Smartphone, PC oder Tablet.
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