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Cannabis als Medizin - Die optimale orale Einnahme von Cannabisprodukten

22.07.2020 11:17
von grow! Magazin
(Kommentare: 1)
Medizin

 

Von Dr. med. Franjo Grotenhermen

Cannabiskonsumenten wissen schon lange, dass sich bei der oralen Einnahme (Essen, Trinken) von Cannabis die Wirkung verstärken lässt, wenn gleichzeitig ein fetthaltiges Nahrungsmittel gegessen wird. Die eindeutige wissenschaftliche Klärung dieser Frage liegt jedoch noch nicht lange zurück. Die Verstärkung der Wirkung wurde von zwei verschiedenen Gruppen von Wissenschaftlern aus verschiedenen Ländern sowohl für CBD als auch für THC nachgewiesen. Dabei kann bei entsprechend großen Fettmengen die systemische Bioverfügbarkeit bis zum Vierfachen oder sogar darüber erhöht werden. Die systemische Bioverfügbarkeit bezeichnet den Anteil der Cannabinoide, die in den Körperkreislauf und so an die entsprechenden Angriffspunkte im Gehirn oder in Geweben anderer Organe (Zellen des Immunsystems, Haut, Knochen, Lunge, Herz, Verdauungsorgane, ableitende Harnwege etc.) gelangen.

 

Eine Optimierung der Einnahme reduziert die Kosten einer Therapie

Eine deutliche Erhöhung der systemischen Bioverfügbarkeit ist besonders interessant für Patienten, die hohe Dosen für eine wirksame Therapie benötigen, wie beispielsweise Menschen mit schizophrenen Psychosen, die eine Tagesdosis von 800 bis 1000 mg CBD anstreben. Ein Fläschchen CBD-Öl als Nahrungsergänzungsmittel mit 1000 mg CBD, also beispielsweise 20 ml mit 5 % CBD, kostet leicht 50 bis 60 Euro, selten weniger und oft noch mehr. Da macht es einen Unterschied, wenn man täglich nur 200 mg einnehmen muss und die Wirkstärke vervierfachen kann. Anstatt täglicher Behandlungskosten von 40 oder 60 Euro, was für Normalverdiener meistens nicht finanzierbar ist, reduzieren sich bei einer vierfachen Stärke die Kosten auf 10 oder 15 Euro. Aber auch für die Einnahme von THC macht es einen Unterschied, ob ich eine Tagesdosis von 2 g durch eine Verdopplung der systemischen Verfügbarkeit auf 1 g halbieren kann. Bei einem Gramm-Preis von 20 Euro für Medizinalcannabisblüten aus der Apotheke lassen sich damit 600 Euro pro Monat sparen.

 

Decarboxylierung zur „Aktivierung“ von THC und CBD

Vor der oralen Einnahme muss eine optimale Decarboxylierung erfolgen. Um die gewünschten phenolischen Formen der Cannabinoide zu erhalten, also die Formen, die das größere therapeutische Potenzial besitzen, müssen Cannabisprodukte mit den sauren Formen, die natürlicherweise in der Pflanze vorkommen, erhitzt werden. Diese Decarboxylierung, eine Abspaltung von CO2 (Kohlendioxid), wurde bei den standardisierten oralen Zubereitungen, die in den Apotheken erhältlich sind (Dronabinol, Sativex®, andere Extrakte), bereits durch die Unternehmen vorgenommen. Wer Cannabisblüten oder Haschisch kauft, muss die Decarboxylierung noch selbst vornehmen. Zwar besitzen auch CBD-Säure und die beiden THC-Säuren einige therapeutische Wirkungen, diese sind jedoch recht überschaubar. CBD-Säure hemmt vor allem Übelkeit und Erbrechen und besitzt auch krebshemmende Eigenschaften. Es gibt Hinweise, dass die THC-Säuren entzündungshemmend wirken und den Abbau von Endocannabinoiden hemmen.

 

Decarboxylierung bei der Inhalation

Werden Medizinalcannabisblüten geraucht oder mit einem Verdampfer (Vaporisator) inhaliert, so reichen diese Temperaturen aus, um eine Decarboxylierung zu erzielen. In der Glut einer Cannabiszigarette (500 bis 800 °C) reicht eine Zeit im Bereich von wenigen Sekunden oder Bruchteilen einer Sekunde aus, um eine ausreichende Decarboxylierung sicherzustellen. Eine Studie, die das exakt untersucht hat, ist mir allerdings nicht bekannt. Die Temperaturen in den Vaporisatoren liegen meistens zwischen 190 und 200 °C. Da ist es sicherlich günstig, wenn die Erhitzung länger als 30 bis 60 Sekunden dauert. Bei 190 °C wurde von Professor Brenneisen aus der Schweiz in den achtziger Jahren eine optimale Decarboxylierung nach fünf Minuten berechnet. Später hat er mit seiner Arbeitsgruppe festgestellt, dass bei der üblichen Verdampfung mit einem Vaporisator eine gute Decarboxylierung erzielt werden kann. Je niedriger die Temperatur liegt, umso länger ist die benötigte Zeit zur optimalen Decarboxylierung. Wer allerdings zu lange bei hohen Temperaturen erhitzt, riskiert den weiteren Abbau der phenolischen Formen zu unwirksamen Substanzen. Eine allzu lange Erhitzung sollte daher ebenfalls vermieden werden.

 

Decarboxylierung bei oraler Einnahme

Möchte man Cannabisblüten oral einnehmen, so kann zuvor eine Decarboxylierung im Backofen erfolgen. Nach einer Untersuchung an der Universität von Mississippi aus dem Jahr 2016 wurde bei einer Temperatur von 100 °C eine vollständige Decarboxylierung frühestens nach 60 Minuten, bei 110 °C frühestens nach 30 Minuten, bei 130 °C frühestens nach neun Minuten und bei 145 °C frühestens nach sechs Minuten erzielt. Bei der praktischen Anwendung dieser Studienergebnisse hat es Sinn, einige Minuten auf die in der Studie ermittelten Zeiten aufzuschlagen, damit in dieser Zeit die Feuchtigkeit vollständig aus den Cannabisblüten verschwindet. Sinnvoll ist beispielsweise eine Erhitzung im Backofen für einen Zeitraum von 15 bis 20 Minuten bei 140 °C oder für einen Zeitraum von 30 bis 40 Minuten bei 120 °C. Es kommt nicht auf die exakte Temperatur und Zeitdauer an. Um die Wirkungen reproduzieren zu können, sollte man allerdings darauf achten, immer die gleichen Zeiten und Temperaturen zu verwenden oder nur solange zu experimentieren, bis man das optimale Ergebnis erzielt hat. Danach kann man kleine Dosen von dem trockenen, leicht zu pulverisierenden Blütenmaterial auf einer Feinwaage abwiegen und einnehmen, beispielsweise in einem fettreichen Joghurt. Eine 100-prozentige Decarboxylierung gelingt nicht und muss auch nicht erreicht werden. Da THC bei etwa 157 °C verdampft, sollte die Temperatur bei der Decarboxylierung im Backofen immer deutlich darunter sein, also besser nicht über 140 oder 145 °C.

 

Orale Einnahme natürlicher Cannabisprodukte

Cannabisblüten können oral in Form von Tropfen, Kapseln, Plätzchen, Kuchen, Tee oder Kakao eingenommen werden. Da der Wirkstoff THC jedoch nicht in Wasser löslich ist, sollte beim Backen und Kochen mit Cannabis darauf geachtet werden, dass der jeweiligen Zubereitung Fett zugesetzt wird. Bei einer Teezubereitung könnte dies zum Beispiel durch die Zugabe von reichlich Sahne erfolgen. Bei der oralen Aufnahme von Cannabis tritt die Wirkung wesentlich später auf als nach der Inhalation von Rauch. Erst nach etwa 30 bis 90 Minuten ist die Wirkung spürbar. Sie hält dafür länger an und klingt sehr langsam ab, bei hoher Dosierung kann sie mehr als acht Stunden andauern.

Das Maximum der psychischen Cannabiswirkung wird nach etwa zwei Stunden erreicht. Viele Patienten mit unterschiedlichen Symptomen kommen häufig auch mit einer abendlichen Gabe aus. Bei der oralen Einnahme von Cannabisprodukten wird der größte Teil des THCs über den Magen-Darm-Trakt ins Blut aufgenommen. Ein Teil des Wirkstoffes wird jedoch zuvor von der Magensäure zerstört, und der größte Teil des in die Blutbahn aufgenommenen THC wird sofort in der Leber abgebaut. Aus diesem Grund gelangt bei oraler Einnahme vergleichsweise weniger THC zur Wirkung als beim Rauchen von Cannabisprodukten. Allerdings weist das wichtigste, in der Leber gebildete THC-Stoffwechselprodukt, das 11-Hydroxy-THC (11-OH-THC), ähnliche pharmakologische Wirkungen wie THC auf. Die verzögerte Wirkung bei der Aufnahme von Cannabis kann im Einzelfall Vorteile oder Nachteile bieten. Vorteilhaft kann die lange Wirkungsdauer sein, wenn Beschwerden über einen längeren Zeitraum, zum Beispiel während der Nacht, gelindert werden sollen. Sie kann auch beispielsweise zur Vorbeugung eines Migräneanfalls verwendet werden, während sich die Inhalation anbietet, sobald die Migräne einsetzt. Da die Wirkung bei der oralen Einnahme verzögert eintritt, wird die Findung der individuell passenden Dosis erschwert. Cannabis-Patienten berichten, dass die Art der oralen Einnahme Effekte auf den Wirkungseintritt hat. So berichtete mir ein Patient, dass er bei der Einnahme von Cannabisblüten, deren Pulver er nach einer Decarboxylierung im Ofen in einen Joghurt hineingerührt hat, die Wirkung erst nach etwa 90 Minuten bemerke. Wenn er die Blüten jedoch im Ofen decarboxyliert und dann noch mal mit dem normalen Essen mitgekocht hatte, trete die Wirkung bereits etwa 45 Minuten nach der Mahlzeit ein.

 

Erhöhung der Wirksamkeit durch gleichzeitige Einnahme von Fett

In einer Ende 2018 veröffentlichten Studie konnten britische Forscher nachweisen, dass die Bioverfügbarkeit von CBD bei oraler Einnahme durch die gleichzeitige Einnahme eines ausgiebigen fettreichen Frühstücks um mehr als das Vierfache erhöht werden konnte. Das bedeutet, dass man beispielsweise mit einer Tagesdosis von 200 mg Wirkungen erzielen könnte, die denen nach der Einnahme von 800 mg auf nüchternem Magen entsprechen würden. Solche hohen Dosen wurden in klinischen Studien bei Patienten mit Epilepsie oder schizophrenen Psychose eingesetzt. In der placebokontrollierten Studie erhielten zwölf Teilnehmer entweder 1500 mg CBD auf nüchternen Magen oder zusammen mit einem fettreichen Frühstück. Es bestand aus etwa 900 Kilokalorien mit zwei in 15 g Butter gebratenen Eiern, 40 g Speck, 115 g Bratkartoffeln, zwei Schreiben Toastbrot mit 15 g Butter und 240 ml fettreicher Milch. Diese Mahlzeit aßen die Teilnehmer innerhalb von 20 Minuten. 30 Minuten nach Beginn des Frühstücks nahmen sie dann das CBD ein. Eine kanadische Studie bestätigte diese Beobachtung im Jahr 2019 auch für THC. In einer kontrollierten 4-Wege-Crossover-Studie mit 28 gesunden Erwachsenen zeigten Forscher, dass die Einnahme von oralem THC zusammen mit einer fettreichen Mahlzeit die systemische Bioverfügbarkeit von THC und seinem Primärmetaboliten 11-Hydroxy-THC um das Zweifache oder mehr erhöht. THC-Kapseln (1 oder 2 × 5 mg) wurden entweder auf nüchternen Magen oder nach einer fettreichen Mahlzeit, die 57 g Fett enthielt (hauptsächlich als Fett in Eiern, Milch und Butter) verabreicht.

 

Wie kommt die Erhöhung der Bioverfügbarkeit durch Fett zustande?

Es ist bisher nicht vollständig geklärt, wodurch die Erhöhung der systemischen Bioverfügbarkeit von Cannabinoiden durch Fett geschieht. Eine bessere Aufnahme über den Magen kann es nicht sein. Nach einer recht plausiblen Theorie gelangt bei der gleichzeitigen Aufnahme von Fett ein großer Teil der Cannabinoide vom Magen-Darm-Trakt nicht in das Blut und damit in die Leber, wo der größte Teil gleich abgebaut wird, sondern direkt in das Lymphsystem und dann über den Ductus thoracicus, das größte Lymphgefäß des Körpers, in den Körperkreislauf des Blutes.

 

Einnahme von Fertigarzneimitteln

Die Aufnahme pharmazeutischer Cannabisprodukte erfolgt im Allgemeinen ebenfalls oral. Dabei werden entweder Tropfen oder Kapseln, wie zum Beispiel Marinol®, Canemes® oder ölige beziehungsweise alkoholische Tropfen eingenommen. Die Cannabinoide in diesen Produkten sind bereits decarboxyliert. Man kann im Internet sogar die vom Hersteller GW Pharmaceuticals verwendeten Temperaturen und Zeiten für die Decarboxylierung von Cannabisblüten finden, aus denen dann der Cannabisextrakt Sativex hergestellt wird. Auch hier kann die zusätzliche Einnahme von Fett die Bioverfügbarkeit verstärken.

 

Einige Tipps für Anfänger und Fortgeschrittene

  • Zu Beginn einer Behandlung mit Cannabis sollte bei der oralen Einnahme mit kleinen Cannabis- beziehungsweise THC-Mengen anfangen und die Menge langsam (alle ein bis zwei Tage) erhöht werden, bis die gewünschte Wirkung erzielt wird. Prinzip: start low, go slow!
  • Wenn das ungeschützte Kraut im Backofen erhitzt wird, um das THC in die wirksame Form umzuwandeln, sollte die Temperatur nicht über 150 °C liegen, damit die Cannabinoide nicht verdampfen. Als Siedepunkt wurde für THC etwa 157 °C ermittelt.
  • Cannabisblüten können auch in zerlassenem Fett aufgelöst werden. So werden die Cannabinoide vor dem Verdampfen geschützt. Dazu kann man etwas Fett in der Pfanne erhitzen und dann Cannabis hinzugeben. Dabei sollten Fette mit einem hohen Siedepunkt verwendet werden, beispielsweise gehärtete Fette wie Palmin oder Biskin, die einen Siedepunkt von 260 bis 290 Grad aufweisen.

- Dr. med. Franjo Grotenhermen -

Dieser Artikel stammt aus der grow! Ausgabe 03-2020. Wir veröffentlichen hier aus jeder neuen Ausgabe unseres Print-Magazins vier vollständige Artikel - erst als Leseproben, acht Wochen später als vollständige Texte, gratis für alle. Falls du diese Ausgabe nachbestellen möchtest, schau doch mal in unseren Shop.

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Kommentare

Kommentar von Susanne Conrad |

Bin froh, dass ich Hanftee und CBD-Öl zu mir nehme. Mir geht es seit dem etwas besser, da ich Epilepsie habe und stark unter den Nebenwirkungen der Medikamente leide und das schon seit meiner Kindheit. Bin heute 61 Jahre. Hier im Saarland gibt es keine Ärzte, die helfen bzw. helfen wollen.
Vielen Dank, dass es das Grow-Heft gibt.
Susanne

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