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Konsequenzen der Prohibition: Marijuanaproduktion in Albanien
Wenn sich in einer Kleinstadt in Albaniens Süden bei Einbruch der Dunkelheit der Lärm der Straßen legt, hallen Maschinengewehrsalven aus den Bergen wider. Das ist wohl das Einzige, was einem aufmerksamen Touristen in der Stadt, die unter dem Schutz des UNESCO-Weltkulturerbes steht, auf die Geschehnisse in den umliegenden Bergen hinweisen könnte. Dorfbewohner verteidigen jedes Jahr aufs Neue im Herbst ihre Marijuanaernte gegen Diebe – und seit diesem Jahr auch verstärkt gegen Sondereinsatzkräfte der Polizei.
„Wir nennen das Dorf unter uns nur ‚Las Vegas‘, weil hier mindestens genauso viel Geld gemacht wird und Tag und Nacht die Lichter brennen“, erklärt mir am nächsten Morgen auf dem Weg dorthin mein Begleiter Tony (Name geändert) und lacht. An den Eingängen des Dorfs kontrollieren oft bewaffnete Männer den Verkehr, besonders nachdem es in letzter Zeit verstärkt in den Medien war. Ausländer gibt es hier kaum noch, und wir müssen uns von Tonys Cousin, der selbst dort anbaut, in der Nähe abholen lassen, um mit seinem Auto hineinzukommen.
„Du kannst dir sicher sein, dass wir die ganze Zeit unter Beobachtung stehen, also lass deine Kamera besser in der Tasche“, rät Tony, bevor wir in ein Café gehen. Die Ortschaft gleicht teilweise einer Festung. Fast alle Grundstücke sind mit hohen Betonmauern umgeben. Viele drei bis vier Meter hohe Pflanzen ragen jedoch noch weit darüber hinaus, die Luft ist erfüllt von ihrem Geruch. Auf den Straßen sind kaum Menschen anzutreffen. Fast alle sind in den Häusern, um ihre Pflanzen zu beschneiden.
Das albanische Las Vegas gewann landesweit, auch vonseiten der Regierung, wieder Beachtung, seit zwei holländische Touristen vor einigen Wochen ein Video auf youtube veröffentlichten: Sie waren unwissend auf Mopeds in das Dorf gefahren, filmten die Pflanzen und kommentierten sie begeistert. Kurz darauf war international durch die Presse bekannt geworden, dass etwa 700 Erntearbeiterinnen, hauptsächlich Frauen und Kinder, wegen Übelkeit, Kreislaufproblemen und Bluthochdruck in die örtlichen Krankenhäuser eingeliefert wurden. Besonders die Familien der Roma, die ihre Lager extra hierfür an den Ortsrändern aufgeschlagen haben, waren davon betroffen. Täglich pendeln zahlreiche Leute in kleinen Bussen in das angrenzende Dorf, wo sie ihre Arbeitskraft als Tagelöhner für umgerechnet etwa sieben Euro zur Verfügung stellen. Oft für zwölf Stunden oder mehr. Die gesundheitlichen Schäden sind ihnen zufolge auf das Verwenden von Pestiziden und das ständige Einatmen des Rauchs bei der Verbrennung von Pflanzenresten zurückzuführen.
„Es gibt fünf oder sechs wirklich reiche und mächtige Männer, die daran verdienen. Deren Namen sind der Polizei längst bekannt. Wenn die Politiker wollten, könnten sie das ganze Geschäft hier an einem Tag lahmlegen“, erklärt Tony, und sein Cousin nickt. Doch so werden bisher, wie schon in den Jahren zuvor, nur fadenscheinige Aktionen der Polizei durchgeführt, die allenfalls den Kleingrundbesitzern der umliegenden Felder Schaden zufügen und nichts an der eigentlichen Situation ändern. Die Polizei stoppte Wassertransporte, die Busse der Erntearbeiter wurden in letzter Zeit vermehrt angehalten und durchsucht, die Mitfahrer in Gewahrsam genommen. Den wirklich großen Bossen will hier immer noch keiner etwas anhaben. Selbst ein Vorgehen gegen den Handelsring hätte negative Auswirkungen auf die Bauern, denn alle hier sind auf den Anbau angewiesen.
Das Dorf mit seinen mittlerweile etwa 7000 Einwohnern entstand vor ungefähr hundert Jahren, als Abtrünnige und Kriminelle dorthin verbannt wurden. Aufgrund der Toleranz und Bestechlichkeit der Parteifunktionäre war es immer eine Hochburg der konservativen Partei, die nun nach acht Jahren die Macht im Juni an die Sozialisten unter Edi Rama, dem einstigen Künstler und Bürgermeister der Hauptstadt Tirana, abtraten. Dieser versprach eine Bekämpfung des Drogenanbaus – nicht zuletzt durch Druck aus dem Ausland und das Streben Albaniens in Richtung EU
Die griechische Grenze im schwer zugänglichen Bergland ist nur etwa 25 km entfernt, dorthin gehen die meisten Transporte, teilweise noch auf Eseln. Von Griechenland aus gelangen Drogen per Flugzeug ins restliche Europa. Schon immer war Albanien eine wichtiges Transitland für Drogen wie Kokain und Heroin aus dem Osten nach Italien. Überall finden sich abseits der Städte Plantagen, besonders im bergigen Nordalbanien um die Stadt Skoda, die als kulturelle Hauptstadt des Landes gilt. Seit den 90ern pflegt die italienische Mafia gute Beziehungen zu den albanischen Clans, die neben Rauschmitteln auch Sexarbeiterinnen, Waffen und illegale Immigranten per Boot nach Europa schleusen.
Die italienische Regierung konnte sich mithilfe von Aufklärungsflügen über das Dorf ein Bild über den Wert und die Menge der dort angebauten Mengen verschaffen. Jedes Jahr werden um die 900 Tonnen angebaut und ein Umsatz von 4,5 Milliarden Euro erreicht. Das beträgt fast ein Drittel des Bruttoinlandsprodukts des Landes und ist doppelt so viel, wie Schätzungen im letzten Jahr ergaben. Es erklärt auch die zahlreichen luxuriösen Mercedesse und BMWs in den Straßen des Dorfs, die zwar im ganzen Land sehr beliebt sind, hier jedoch mit ihren verdunkelten Scheiben und den manchmal fehlenden Nummernschildern noch einmal besonders auffallen und die Gesetzlosigkeit in der Region bestätigen.
Noch vor Einbruch der Dunkelheit machen wir uns auf den Rückweg. Zurück in der Kleinstadt, mahnt mich Tony, bevor ich aus dem Auto aussteige: „Wenn du hier keine Probleme bekommen möchtest, verrate niemandem, dass du Journalist bist“, sagt er und zwinkert mir zu.
Johannes Stein
Dieser Artikel stammt aus der grow! Ausgabe 3-2014. Wir veröffentlichen hier aus jeder neuen Ausgabe unseres Print-Magazins vier vollständige Artikel - erst als Leseproben, acht Wochen später als vollständige Texte, gratis für alle. Falls du diese Ausgabe nachbestellen möchtest, schau doch mal in unseren Shop.
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