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Konsequenzen der Prohibition: Ungarn
Während sich mit den Wahlen im November die Zahl der US-Bundesstaaten verdoppelt hat, in welchen Erwachsene ab 21. Jahren legal Cannabis konsumieren und besitzen dürfen, werden anderswo immer noch strenge Verbote mit härtesten Mitteln durchgesetzt. Im Rahmen dieser Reihe haben wir euch schon von den extremen Strafen berichtet, vor denen sich Produzenten, Händler, aber auch Konsumenten in vielen Ländern leider noch immer fürchten müssen. Dennoch kommt man stets zu dem gleichen Fazit: Die Prohibition führt definitiv nicht zu einer drogenfreien Gesellschaft. Dass immer mehr internationale Fachleute den Krieg gegen Drogen für eindeutig gescheitert halten, scheint viele Politiker aber leider nicht zu interessieren. Ein weiteres trauriges Beispiel dafür ist Ungarn.
Die rechtliche Situation
Zwischen Rumänien im Osten und Österreich im Westen gelegen, ist Ungarn eines der traditionellen Transitländer des internationalen Drogenhandels. Über die inzwischen berühmt-berüchtigte Balkanroute wird regelmäßig Heroin nach Westeuropa geschmuggelt. Laut der Europäischen Beobachtungsstelle für Drogen und Drogensucht (EBDD) herrschte diesbezüglich zwar zwischen 2011 und 2013 eine gewisse Flaute, dennoch wurden 2014 immerhin über 70 Kilo Heroin sowie beinahe 40 Kilo Kokain beschlagnahmt. Aber natürlich ist auch Cannabis ein Thema in Ungarn, der Schmuggel scheint stetig zuzunehmen. Offiziellen Angaben zufolge sind dafür in erster Linie von Vietnamesen geführte kriminelle Gruppierungen aus Tschechien, aber seit einiger Zeit auch Schmuggler aus den westlichen Balkanländern verantwortlich.
Im Vergleich zu den meisten anderen Ländern der EU ist die Drogenpolitik Ungarns besonders restriktiv: Unter dem Motto „Klares Bewusstsein, Nüchternheit und Kampf gegen Drogenkriminalität“ wurde im Oktober 2013 eine offizielle Anti-Drogen-Strategie ausgerufen, deren erklärtes Ziel es allen Ernstes ist, das Land bis 2020 „drogenfrei“ zu machen. Abgesehen davon, dass der Plan keine Lösung für das wachsende Problem der Verbreitung ständig neuer Designerdrogen und Neuer Psychoaktiver Substanzen (NPS) im Land parat hält, halten zahlreiche Experten den Plan an sich für unrealistisch. Aller Kritik zum Trotz hat die ungarische Regierung den Aktionsplan der Strategie im Dezember 2015 offiziell übernommen.
Das ungarische Gesetz macht übrigens keinen Unterschied zwischen Rauschmitteln, es gibt in Bezug auf mögliche Strafen keinerlei Differenzierung. Egal wie groß die Unterschiede in Bezug auf das Gefahrenpotential verschiedener illegaler Drogen auch sein mögen, in Ungarn haben Vergehen mit Cannabis die gleichen Konsequenzen wie jene mit Heroin und anderen gefährlichen Substanzen zur Folge. Das ungarische Gesetz kennt allerdings auch kleine, für den persönlichen Konsum vorgesehene Mengen illegaler Rauschmittel. Hier gilt eine Grenze von maximal einem Gramm des jeweiligen Wirkstoffes. Bei Hanfblüten mit einem THC-Gehalt von 10 Prozent könnten also 10 Gramm als Eigenbedarf durchgehen. Doch selbst der Besitz kleiner Mengen ist, ebenso wie seit 2013 auch schon der bloße Konsum, verboten und kann theoretisch mit bis zu zwei Jahren Haft geahndet werden. Immerhin haben die Gerichte auch die Möglichkeit, bei Ersttätern Milde walten zu lassen. So werden bei kleineren Vergehen auch oft Bewährungsstrafen verhängt. Wer Glück hat, kommt mit einer Verwarnung davon. Bei größeren Mengen drohen allerdings Haftstrafen bis zu fünf Jahren. Bei der gegenwärtigen rechtlichen Lage ist es sogar möglich, dass – je nach Umfang und weiteren Umständen – für den Besitz oder Verkauf von illegalen Drogen Haftstrafen von bis zu 15 und in extremen Fällen sogar 20 Jahren verhängt werden können. Selbst, wenn es nur um Cannabis geht. Unter bestimmten Umständen können bei schwersten Vergehen und besonders großen Mengen sogar lebenslange Haftstrafen verhängt werden.
Zwar muss ein Drogenvergehen mit geringen Mengen nicht zwangsläufig zu einer Haftstrafe führen, doch wer sich ein zweites Mal erwischen lässt, nachdem er zuvor mit einer Verwarnung oder einer Bewährungsstrafe davongekommen ist, kommt um einen Gefängnisaufenthalt nicht mehr herum; bei Wiederholungstätern haben die Gerichte keinen Spielraum mehr. Besonders scharf geahndet werden seit der letzten Verschärfung der betreffenden Gesetze im Übrigen auch Vergehen in oder in der Nähe von öffentlichen Einrichtungen. So ist die Polizei befugt, Schüler, bei denen eine winzige Menge Cannabis gefunden wurde, auf die Polizeistation zu bringen und eine Hausdurchsuchung anzuordnen. Der Verkauf verbotener Rauschmittel an Minderjährige wird ebenfalls besonders hart bestraft: Schon das Weiterreichen eines einzelnen Joints an einen Minderjährigen kann laut Gesetz zu einer Haftstrafe von bis zu fünf Jahren führen.
Kein Cannabis für Patienten
Auch in Bezug auf die medizinische Nutzung von Cannabis ist Ungarn alles andere als progressiv, wenngleich das Interesse daran wenigstens langsam zu steigen scheint. Inzwischen gibt es mit der Hungarian Medical Cannabis Association einen ersten Verband, der sich für Cannabis als Medizin einsetzt. Anfang Juni 2016 lud die Hungarian Civil Liberties Union (HCLU) Experten zur einer ersten Konferenz zu diesem Thema nach Budapest. Hier ging es nicht nur um konkrete Fakten zur medizinischen Nutzung von Cannabis, sondern auch um Patientenrechte und die Möglichkeiten zur Schaffung eines Systems zur legalen Abgabe in Ungarn.
Auf der Konferenz sprach neben diversen anderen Fachleuten auch Rita Pálffyné Poór vom Nationalen Institut für Pharmazie und Ernährung. Wie sie betonte, sei es die offizielle Position ihres Institutes, dass es zu wenig Forschungsergebnisse gebe, um Cannabis in Ungarn als Medizin zuzulassen. Zwar haben Ärzte formal seit 2008 die Möglichkeit, in anderen Ländern erlaubte Cannabis-Arzneimittel zu bestellen, doch offenbar wurde dies bisher leider nicht einmal in Anspruch genommen. Was die Forschung angeht, so kam erst im letzten Jahr eine Studie des Instituts für experimentelle Medizin der Ungarischen Akademie der Wissenschaften zu dem Ergebnis, dass der Konsum von Cannabis bestimmte Hirnfunktionen negativ beeinflusse. Nach der Veröffentlichung der Studie fanden sich in der Presse Schlagzeilen wie „Ungarische Wissenschaftler weisen verheerende Folgen des Cannabiskonsums auf das Gehirn nach“ (Hungary Today). Es scheint, als hätten zahlreiche ungarische Forscher und Medienmacher des Landes eine ausgeprägt ablehnende Haltung gegenüber Cannabis. Dementsprechend einseitig gestaltet sich nicht selten die Berichterstattung.
Die Folgen
Lassen sich die Bürger durch die harten Strafen vom Rauschmittelgebrauch abhalten? Natürlich nicht. Obwohl Konsum, Besitz und Handel verboten sind, ist Cannabis in Ungarn das beliebteste aller illegalen Rauschmittel – auch unter Jugendlichen. Als Ungarn 2014 das letzte Mal bei der internationalen HBSC-Studie (Health Behaviour in School-Aged Children) teilnahm, lag die Lebenszeitprävalenz für Cannabis bei 15-jährigen Jungen bei 12 Prozent, bei den befragten Mädchen lag der Wert sogar bei 14 Prozent. Die Verbotspolitik hat also auch hier bisher nicht zu dem gewünschten Ergebnis geführt und mit Blick auf die Geschichte der internationalen Prohibition ist es zudem auch mehr als unwahrscheinlich, dass das illusorische Ziel einer drogenfreien Gesellschaft durch noch härtere Strafen erreicht werden könnte.
Eine steigende Anzahl von Menschen scheint sich durch die Gesetze des Landes sowieso nicht davon abschrecken zu lassen, Cannabis auch selbst anzubauen. Dabei kann der Anbau mit bis zu fünf Jahren Haft geahndet werden. Wird einem Grower gewerbliche Produktion von Drogen vorgeworfen, können daraus auch zwei bis acht Jahre werden. In schwerwiegenden Fällen, bei denen es um besonders große Mengen geht, haben die Gerichte sogar die Möglichkeit, eine Haftstrafe von bis zu fünfzehn Jahren auszusprechen. In den letzten Jahren mehrten sich die Berichte über immer professionellere Grows, oftmals organisiert von den eingangs erwähnten vietnamesischen Gangs. Der private Anbau scheint dagegen noch relativ wenig ausgeprägt zu sein. 2014 wurden laut der offiziellen Kriminalstatistik des Landes 148 Grows entdeckt.
Die ungarische Drogenpolitik setzt auf Abschreckung durch harte Strafen – natürlich ohne Erfolg. Wie im Falle der meisten anderen Länder, welche wir im Rahmen dieser Reihe bereits näher unter die Lupe genommen haben, führt die Prohibition auch in Ungarn nicht zu einem Rückgang des Drogenhandels und -konsums, sondern lediglich zu einer Ausprägung krimineller Strukturen. Insbesondere das Verbot von Cannabis dürfte zudem für die besorgniserregende Entwicklung auf dem Gebiet der auch als „Legal Highs“ bekannten NPS mitverantwortlich sein. Seit 2009 nimmt der Handel mit diesen Rauschmitteln ebenso wie deren Konsum stetig zu. 2014 ging es bei fast 60 Prozent aller offiziellen Beschlagnahmungen zumindest anteilig um NPS. Die Auswertung von Daten aus Einrichtungen zur Behandlung von Drogenabhängigen legen nahe, dass 2015 ungefähr die Hälfte der Behandelten wegen NPS dort waren. In den meisten dieser Fälle ging es um synthetische Cannabinoide und Cathinone. Als wäre all das nicht beunruhigend genug, steigt auch die Zahl derjenigen, welche NPS und Designerdrogen injizieren.
Wie sich zeigt, ist Ungarn ein weiteres trauriges Beispiel für die fatalen Folgen einer restriktiven Drogenpolitik. Die Prohibition kriminalisiert Konsumenten und zerstört auf diesem Wege regelmäßig Existenzen. Die Verbote fördern zudem die Verbreitung gefährlicher Alternativen wie Legal Highs. Das unrealistische Ziel der Schaffung einer Gesellschaft ohne Drogen ist auch in Ungarn zwangsläufig zum Scheitern verurteilt. Die Zahl der internationalen Experten, welche den Krieg gegen Drogen für gescheitert erachten, wächst stetig an – doch bis sich diese Erkenntnis auch in Ungarn durchsetzt, leben Konsumenten, Händler und Produzenten von Cannabis und anderen Rauschmitteln hier leider weiterhin mit dem ständigen Risiko unverhältnismäßiger Kriminalisierung. So bleibt auch in diesem Fall wieder einmal zunächst nur die Hoffnung, dass die internationale Entwicklung anhält und eines Tages auch die Verantwortlichen in Ungarn einsehen, dass Verbote und immer härtere Strafen kontraproduktiv sind.
Dieser Artikel stammt aus der grow Ausgabe 1-2017. Wir veröffentlichen hier aus jeder neuen Ausgabe unseres Print-Magazins vier vollständige Artikel - erst als Leseproben, acht Wochen später als vollständige Texte, gratis für alle. Falls du diese Ausgabe nachbestellen möchtest, schau doch mal in unseren Shop. Alternativ findest du die Ausgabe auch als ePaper zum bequemen Lesen auf deinem Smartphone, PC oder Tablet.
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