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Die Legende der Lowryder
Die meisten Grower träumen davon, ihren eigenen Strain zu haben, eine von ihnen, für sie erschaffene Sorte; etwas ganz und gar Eigenes. Die ideale Sorte eines Growers wäre eine, welche von Wuchs bis Rauch alle bevorzugten Eigenschaften in sich vereint und dank derer man sich mit Fug und Recht damit brüsten kann, gute Arbeit geleistet – und seine Freunde ordentlich stoned gemacht zu haben. Allerdings sind die meisten Grower ein wenig eingeschüchtert, wenn es in den Anbaubüchern um die Zucht geht. Während der Großteil eines Anbaubuches gradlinig daherkommen kann, können die Kapitel über Zucht sich plötzlich anfühlen, als würden die Naturwissenschaft-Schulstunden, die man damals geschwänzt hat, zurückkehren und einem in den Arsch beißen. Es kann außerdem so wirken, als sei Zucht nur etwas, das allein für Personen in Frage kommt, die in großem Maßstab anbauen.
Der Traum von der Zucht einer eigenen Sorte muss nicht unrealistisch sein. Bewahre dir den Drang, die ultimative Sorte zu erschaffen – auch wenn du von dem ganzen Kram entgeistert bist, der nach Mathe aussieht. Aus bescheidenen Anfängen können Legenden werden. Wer einen Beweis braucht, muss sich nur die Lowryder ansehen.
Die Geschichte der Lowryder-Sorte – und der darauffolgenden Autoflowering-Welle, die aus ihr hervorging – beinhaltet zuvor unbekannte Akteure und ihren Aufstieg aus der Dunkelheit. Es ist eine Geschichte von Freude und Frustration, Rückschlägen und Sprüngen nach vorn, aber vor allem ist es eine Geschichte, welche aus besagten bescheidenen Anfängen entstand.
Lowryder setzte eine Revolution im Anbau in Gang und wie die der meisten anderen Sorten fing ihre Geschichte mit einer Box voller Samen und begrenzten Ressourcen an, aber auch mit der Hingabe daran, etwas wirklich Einzigartiges zu erschaffen. Während die Reise der Lowryder wohl begann, als die erste Pflanze ihr Ding machte und beim Indooranbau automatisch in Blüte ging, ist ein wenig Hintergrund nötig, um verstehen zu können, warum die Geschichte der Lowryder so unglaublich ist.
Der erste Schritt eines jeden Zuchtvorhabens ist die Erschaffung eines F1-Strains: Ein Hybrid zweier Pflanzen. Dabei wird, einfach gesagt, eine Sorte mit den Pollen einer anderen bestäubt. Das ist der einfachste und direkteste Weg, eine andere und auf gewisse Weise maßgeschneiderte Version einer Sorte zu erhalten, die man bereits mag. Die beiden Sorten, die man miteinander kreuzt, werden auch „Eltern“-Pflanzen genannt, und je besser die Auswahl von Eltern-Pflanzen ausfällt, desto besser wird das Ergebnis. Die F1-Generation ist in der Regel eine recht stabile Kombination beider Eltern. Zudem tritt bei ihr auf, was „Heterosis-Effekt“ (Kreuzungsstärke) genannt wird. Man sieht im Gartencenter oft als F1 ausgezeichnete Blumen, da Pflanzen mit Heterosis-Effekt besonders marktfähig sind. Hier fing die Lowryder-Story an: mit der Suche nach der Geschwindigkeit der einen Sorte und der Stärke einer anderen.
Mitte bis Ende der 90er boten die Samenbanken stabile Genetik an, aber die meisten betrieben ihr Geschäft von Amsterdam aus. In Kanada waren die am höchsten geschätzten Sorten immer noch, was ich „Erbstücke“ nenne. Die Genetik von Pflanzen, bei denen sich herausstellte, dass sie ausgeglichene Qualitäten haben, wurden im Freundeskreis und/oder mit gleichgesinnten Growern geteilt. So kam der Joint Doctor an das heran, was die Lowryder werden sollte. Vom Besitzer als „mexikanische Ruderalis“ bezeichnet, war diese Genetik ziemlich mysteriös. Von Ruderalis wusste man, dass es russischen Ursprung hat. War dies eine mexikanische Sorte gekreuzt mit einer Ruderalis? War es überhaupt mexikanisch – oder überhaupt Ruderalis? Diese Frage wird wahrscheinlich niemals beantwortet werden. Der Joint Doctor musste sich darauf beschränken, die Sorte anzubauen, und als er das tat, bemerkte er, dass sie beim Outdooranbau wirklich schnell fertig war. Allerdings war sie in Indoor-Umgebung noch ungetestet. Neugierig geworden, entschied sich der Joint Doctor dazu, seine neue Genetik mit einer der stärksten und verlässlichsten Indoor-Sorten seines Arsenals zu kreuzen: Northern Lights #2. Das Ergebnis der Kombination dieser beiden Pflanzen wurde dann mit einer William‘s Wonder gekreuzt, um einen weiteren F1 zu erschaffen. An dieser Stelle musste sich die Autoflowering-Eigenschaft erst noch zeigen. Mitten in seinem Projekt zog der Joint Doctor in die kanadischen Prärieprovinzen und während er Samen produzierte, um sie mitnehmen zu können, züchtete er eine F2-Version seiner schnellen Dreier-Kreuzung, packte sein gesamtes Grow-Equipment zusammen und machte sich auf den Weg nach Norden.
Dort traf ich den Joint Doctor. Wir waren beide gerade mitten ins Nichts gezogen, weit entfernt vom Zentrum der Cannabis-Welt. Als gleichgesinnte Sammler von hochwertigen und faszinierenden Samen entschieden wir uns zu einem gemeinsamen Durchgang in meinem Keller. Der Plan war, die Sorten direkt nebeneinander zu sehen und dann die besten Samen auszutauschen oder zu kreuzen. Meine Anbaufläche war damals nur recht klein: Ein Raum mit 12 x 12 Fuß (3,66 m²) mit 5.400-Watt-HPS-Beleuchtung. Das war alles, was ich zu dem Zeitpunkt anschaffen konnte. Trotz dieser unpassenden Bedingungen füllten wir meinen Keller mit zehn unserer Lieblingssorten, je fünf Pflanzen. Und in der Ecke saß ganz ruhig, ohne viel Aufhebens zu machen, die Sorte, die als Lowryder bekannt werden würde.
Seitdem ist aus der Autoflowering-Eigenschaft der Lowryder viel gemacht worden, aber damals wussten wir nicht mal davon. Die Sache mit der Autoflowering-Eigenschaft ist, dass es ein rezessives Gen ist und sich daher in der F1-Generation nicht zeigt. Das heißt: Vielleicht hast du eine wahrhaft magische Pflanze, aber die unglaublichsten Eigenschaften deiner neu erschaffenen F1 haben sich möglicherweise noch gar nicht gezeigt. Das ist es, was wir von der Zucht der Lowryder gelernt haben.
Unser Grow-Raum war seit einigen Wochen in der Wachstumsphase, mit einem 24-Stunden-Lichtzyklus, als bei unseren kleinen Pflanzen in der Ecke erste Anzeichen der Blüte auftraten. Das war wirklich eigenartig und hat uns definitiv neugierig gemacht. Als ich diese hässlichen Entlein anstarrte, fragte der Joint Doctor: „Was zur Hölle machen wir mit diesen verrückten Kerlen?“
In meiner Aufregung hatte ich gleich losgeplappert: „Wir müssen sie bestäuben!“, bevor ich mich umdrehte und sah, dass er das beste Männchen bereits in den Händen hielt. Sein Gesicht war voller jugendlichem Überschwang. Seine Frage war eindeutig rhetorisch gewesen.
Der Joint Doctor nahm die Samen dieser Pflanze mit zu sich nach Hause und machte sich an die eigentliche Arbeit: Eine Sorte zu erschaffen, nicht nur eine Kreuzung. Die Autoflowering-Eigenschaft war während der Erschaffung der F1-Generation entstanden, aber sie musste noch stabilisiert werden. Hier geht die eigentliche Zucht los. Eine stabile Kreuzung ist näher an einer P1-Herkunft (P1 = 1. Parentalgeneration) als eine F2, da ein guter Züchter die Zufälligkeit vermeidet, welche in einer F2 auftritt. Die einzigartige Autoflowering-Eigenschaft der Lowryder war es, die wir isolieren wollten. Das Vorgehen war nicht anders als jenes bei Erhalt von Geruch oder Geschmack von Lieblingssorten.
Wenn eine reguläre mit einer Autoflowering-Sorte gekreuzt wird, werden die Samen der F1-Generation schnell sein, aber die Autoflowering-Eigenschaft nicht aufweisen. Diese wird sich bis zur F2-Generation nicht zeigen, in welcher ungefähr 25 % der Pflanzen sie aufweisen. Deshalb wurde sie in der ursprünglichen Northern-Lights-Kreuzung nicht bemerkt. Wenn eine weibliche Pflanze Pollen einer männlichen empfängt und beide die Autoflowering-Charakteristik haben, werden ungefähr 50 % der nächsten Generation die Autoflowering-Eigenschaft aufweisen. Wenn eine weibliche und eine männliche Pflanze dieser Generation zur Zucht verwendet werden, werden ungefähr 75 % der Samen die Autoflowering-Eigenschaft haben, dann 87,5 % und so weiter. Wenn man, wie hier, Generationen der gleichen Sorte zur Zucht verwendet, schafft man eine Inzuchtlinie oder IBL (inbred line). So werden bestimmte Eigenschaften herausgezüchtet und andere selektiert, bis die Stabilität dieser Eigenschaft erreicht ist.
Sobald der Joint Doctor die Lowryder soweit hatte, sie ernsthaft hinsichtlich der Autoflowering-Eigenschaft zu züchten, konnte die nächste Phase beginnen. Nach der IBL-Arbeit über Generationen hinweg hatte er eine Sorte, die nun einheitlich altersabhängig anstatt lichtabhängig war. Alle Pflanzen gingen abhängig von ihrem Alter in die Blüte (was früh war!) und nicht als Reaktion auf einen Wechsel in ihrem Beleuchtungsplan. Die Pflanzen gelangten in 40 bis 55 Tagen ab Keimung zur Reife, hatten einen tiefen, moschusartigen Geruch und rauchten sich recht anständig. Außerdem brachten sie nur um die 7 bis 14 Gramm, wenn es gut lief. Mit seiner IBL-Technik hatte der Joint Doctor offenbar eine Grenze in Sachen Größe erreicht. Es nagte an seinem Selbstvertrauen und machte ihn unsicher, wie weit er mit seiner neuen Sorte gehen könnte. Daran musste eindeutig etwas getan werden.
Das war die Original Lowryder. Aber das Projekt war noch nicht abgeschlossen. Es ging zurück ans Zeichenbrett und zurück zu einer anderen F1-Generation, um die Dinge hinzuzufügen, die in unserer Originalsorte zu fehlen schienen. Etwas mehr Größe. Ein wenig Geschwindigkeit konnte geopfert werden. Nach Stabilisierung der Autoflowering-Eigenschaft setzten wir eine Ladung neuer Kreuzungen an. Die eine, die als die knorrigste herausstand – und praktischerweise auch als die stabilste – war die Kreuzung mit Santa Maria. Diese wurde dann mittels der besagten IBL-Technik stabilisiert und voilà! Lowryder #2 war geboren!
Diese Pflanze sollte genau wie das Original unter jeder Beleuchtung automatisch in die Blüte gehen, aber jetzt hatte sie viel mehr Kick, einen Geruch, der einen Beutel von allein verkauft, und sie kam in den Bereich von einer Unze (ca. 28 Gramm) pro Exemplar. Die damals populärste Anbaumethode war der SOG (sea of green) mit recht jungen Klonen, und diese Pflanze passte perfekt in diesen Aufbau. Es war zudem die perfekte Pflanze für alle, die in begrenzten Räumen nur für sich selbst anbauen.
Jeder ernsthafte Raucher weiß, dass man, wenn man über längere Zeit immer die gleiche Sorte raucht, eine Toleranz aufbaut, die dazu führt, dass man ein wenig den Spaß an ihr verliert. An diesem Punkt war der Joint Doctor mit seiner Lowryder #2. Ich war gerade von einem Trip zum Cannabis Cup in Amsterdam zurückgekommen und hatte ein paar neue Schätze ergattert, also zogen wir wieder die Samentausch-Nummer durch. Einige seiner am besten bewerteten Lowryder-Samen wurden gegen einige der ersten Generation der NYC Diesel getauscht, die mir Soma gegeben hatte, und einige der Mazar von Sensi Seeds.
Mit dieser Genetik zur Hand ging es zurück an den F1-Tisch. Der Kreislauf begann aufs Neue. Wir bauten an, hielten Ausschau nach den besten Eigenschaften und züchteten die Pflanzen durch Inzucht, um diese Eigenschaften zu stabilisieren. Als wir die NYC Diesel mit der Lowryder gekreuzt hatten, selektierten wir hauptsächlich nach dem markanten Geruch und Geschmack. Diese Pflanze wurde die DieselRyder. Eine AK-47 von Serious Seeds wurde mit der Lowryder gekreuzt, wobei nach Größe und Stabilität selektiert wurde, und diese wurde die EazyRyder. Diese Sorte kam auf 19 % THC, was sie zur bisher potentesten Autoflowering-Sorte machte. Ein paar Generationen der Inzucht später zeigte die Mazar ihre Farben; diese Sorte wurde als PurpleRyder stabilisiert. Eine andere Linie der Mazar sollte für ihren besonderen Geruch, ihre Geschwindigkeit und ein entspannendes High gezüchtet und zur Betty Boo werden. Die Lowryder-Magie ging einfach immer weiter.
Es ist ein Unterschied, ob man einfach Pollen auf seine Pflanzen schmeißt oder tatsächlich züchtet. Letzteres ist nicht schwierig, aber es ist eine Kunstfertigkeit. Diese Story zeigt, warum man keine Angst vor dem Zucht-Kapitel haben muss und soll vielmehr dazu inspirieren, Großes zu vollbringen.
Im Laufe seiner Reise als Züchter hat der Joint Doctor so ziemlich jede in diesem Kapitel* beschriebene Technik erlernt und wahrscheinlich auch eingesetzt, um etwas Großartiges zu erreichen. Am Anfang kannte er allerdings keine davon. Auch er fing mit einem Raum an, wie man ihn bezahlbar an einem Wochenende in beinahe jedem Haus in Nordamerika einrichten könnte.
Autoflowering-Genetik macht inzwischen 60 bis 70 % aller europäischen Samenverkäufe aus. Das alles fing mit Lowryder an. Diese eine besondere Pflanze hat das Potenzial, etwas wahrhaft Revolutionäres zu sein. Verdammt, mit ein wenig Glück könnte man die nächste Diesel oder OG oder sogar Lowryder haben. Es klingt wie ein Klischee, aber man kann die Welt wirklich verändern – Samen für Samen.
Text und Fotos: David Strange
* Die hier für euch exklusiv übersetzte Legende der Lowryder ist ein Auszug aus einem Kapitel der neuesten Auflage des Buches The Cannabis Grow Bible: The Definitive Guide to Growing Marijuana for Recreational and Medical Use des Anbau- und Zuchtexperten Greg Green.
Dieser Artikel stammt aus der grow! Ausgabe 6-2019. Falls du diese Ausgabe nachbestellen möchtest, schau doch mal in unseren Shop. Alternativ findest du die Ausgabe auch als ePaper zum bequemen Lesen auf deinem Smartphone, PC oder Tablet.
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