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Ein Tag im Leben eines Coffeeshop-Betreibers
Ein Besuch im Amsterdamer Coffeeshop Anno 2016
Am Anfang ist alles wie immer: Vor dem Bahnhof riecht es nach Gras. Ich überquere den Vorplatz und die Straße dahinter und laufe in die Stadt. Wie schon so oft. Trotzdem, seit meinem letzten Besuch sind viele Jahre vergangen. Irgendwann hatte sich das Gefühl eingestellt, Amsterdam so gut zu kennen, dass sich hinfahren nicht mehr lohnt. Auf den ersten Meter merke ich schnell, dass das ein Fehler war. Amsterdam, du hast mir gefehlt.
Also wie immer, und das bedeutet, an der Gracht entlang und direkt ins Greenhouse. Der erste Joint in der Stadt – diesmal ist er sogar nötig, denn ich bin hier, um über Coffeeshops zu schreiben.
In Amsterdam hat sich viel verändert, wurde mir vor der Abreise angedroht. Die Riesenparty ist vorbei, viele Coffeeshops sind geschlossen, die Huren ausquartiert und ausgewiesen. Im Greenhouse merkt man davon nichts. Es ist Mittag und rappelvoll mit Touristen. Nicht der richtige Ort, um darüber zu schreiben, weil es kein Ort ist, an dem man schreiben könnte. Also wieder auf die Straße. Mein früherer Lieblingsplatz am Rande des Rotlichtviertels ist noch da. Jolly Joker: Große Fenster, viel Holz, guter Kaffee, Tische mit Blick auf den Marktplatz. Nicht das, was ich heute suche, aber ich bin insgesamt nun etwas ruhiger. So viel hat sich also doch nicht verändert. Trotzdem, wenn ich nicht über Touristenklischees schreiben will, brauche ich einen Insider. Zum Glück kenne ich genau die richtige Person dafür.
Das Tolle an Soraya ist, dass man sie nach Monaten Funkstille mitten in der Woche anrufen kann, um sie zu fragen, ob sie einem den schönsten Coffeeshop von Amsterdam zeigen könnte. Eine Stunde nach unserem Telefonat sitzen wir in der Straßenbahn auf dem Weg in den alten Süden.
Touristisch konzentriert sich hier alles auf das Heineken-Museum und den Albert-Cyup-Markt, wir biegen aber von der Marktstraße ab und schlendern durch ein Wohnviertel mit ein paar Geschäften. Ein surinamesischer Obsthändler, ein paar Cafés und der Coffeeshop. Katsu. Mit einer Terrasse vor der Tür und Tischen unter einem Sonnenschirm.
Hinter dem Tresen steht Maria; groß, gertenschlank, afrikanischer Abstammung und schon etwas älter, aber das hält sie nicht davon ab, bei ihrer Schicht ein hautenges Kleid und High-Heels zu tragen. Ich nehme an einer richtigen Bar aus echtem Holz Platz. Maria empfiehlt das Strawberry Haze. Ich kenne den Geschmack zwar schon, bin aber trotzdem wieder erstaunt, wie stark es tatsächlich nach Erdbeeren schmeckt.
Ob sie wisse, wo das gewachsen sei, frage ich. Natürlich, sie kenne den Grower, wird mir erklärt. Bei Katsu arbeiten sie nur mit Lieferanten zusammen, die sie schon lange kennen. Auf Schmuggelware, wie sie zum Beispiel in Rotterdam massenhaft im Hafen ankommt, sind sie hier nicht angewiesen. Der Shop hat seine eigenen Leute, die exklusiv nur für Maria und ihr Team growen. Und sich dabei höchstwahrscheinlich strafbar machen.
Fünf Pflanzen darf jeder Grower haben und maximal zwei technische Hilfsmittel. Growbox, Lampe, Luftfilter – tja, das war schon eins zu viel. „Professionelle Zucht“ ist nämlich verboten und das glauben einem die Behörden eben nur, wenn man sich auf zwei Helferlein beschränkt. Und alles natürlich nur zum Eigenbedarf, versteht sich. Maria ist ihren Growern also sehr dankbar. Ohne sie wäre die Sortenvielfalt im Laden unmöglich.
Ebenso wie auf die Grower, ist Katsu auf das Wohlwollen der Nachbarn angewiesen. Der Coffeeshop ist der älteste Laden auf dieser Straße, schon seit 1985 wird hier gekifft, seit 26 Jahren arbeitet Maria hinter der Bar. Zuletzt sind die Zeiten schwieriger geworden, erzählt sie mir. So könne ich auf der Terrasse zum Beispiel zwar rauchen, aber drehen müsse ich im Laden. Warum? Damit vorbeilaufende Kinder mich nicht dabei sehen. Das klingt absurd, aber so will es der nachbarschaftliche Beschluss.
Absurde Regeln gibt es im Coffeeshop-Geschäft zur Genüge. Nicht näher als 250 Meter an einer Schule, Verkaufen ist legal, aber niemand darf mehr als fünf Gramm mit sich herumtragen. Das reicht zur Belieferung eines Ladens natürlich nicht, die Lieferanten sind mit ihren Paketen also illegal unterwegs und riskieren sogar Gefängnisstrafen. Ab 30 Gramm in der Tasche blühen bis zu zwei Jahre hinter Gittern.
Bei den Vorräten gibt es ein ähnliches Problem: Im Shop dürfen maximal 500 Gramm gelagert werden. Das reicht aber niemals, wenn man verschiedene Sorten anbieten will. Wie sie dieses Problem lösen, will mir Maria nicht genauer erklären...
Ihr Kaffee ist dafür vorzüglich und ich schwelge in seinem Aroma und Geschmack. Eigentlich würde zu dem Haze ein Bier gut passen, aber Alkohol auszuschenken ist für Coffeeshops ebenfalls verboten. Im Zentrum, im Rotlichtviertel, gibt es allerdings ein paar Bars, in denen man kiffen darf. Rick's zum Beispiel, direkt gegenüber vom Greenhouse. Dort sitze ich abends an der Gracht, trinke Bier zu meinem Apple Jack und frage mich, was sich nun in Amsterdams Coffeeshops seit meinem letzten Besuch verändert hat. Ein paar Läden sind dicht, das stimmt, aber das betrifft mich nicht so richtig. Meine Lieblingsplätze sind alle noch da. Trotzdem, etwas ist anders. Die Atmosphäre hat sich verändert, weil die Selbstverständlichkeit verlorengegangen ist. Über Kiffen auf offener Straße wird häufiger die Nase gerümpft, alle sind etwas vorsichtiger, dezenter, aus Furcht vor der nächsten drohenden Schließung und dem wirtschaftlichen Ruin, der daraus folgt.
Um außerhalb von Amsterdam Gras zu bekommen, muss man eine Clubmitgliedschaft beim lokalen Coffeeshop haben. Diese gibt es aber nur für Einwohner des jeweiligen Ortes. Wer nicht in der Stadt, in der der Shop ist, gemeldet ist, muss abstinent bleiben. Für Maria ist es also zum Beispiel in Enschede genauso schwierig, Marijuana zu kaufen wie für mich als Deutschen. Lustig, oder? Maria kann darüber nicht lachen, stellt mir aber noch einen Kaffee hin, während ich mir nochmal die Karte vornehme.
Katsu hat unglaubliche 35 verschiedene Marijuana-Sorten im Angebot. Fünfunddreißig! Im Stadtzentrum haben die meisten gerade mal fünf von jedem, hier finde ich allein acht unterschiedliche Haze-Sorten, Kush bis zum Abwinken und natürlich die Klassiker (White Widow, etc.).
Auf der Rückseite der Karte finde ich dann eine Haschisch-Auswahl, die nochmal so groß ist.
Unter dieser Vielfalt fallen hier, wie überall sonst auch, außerdem Angebote auf, die sie als „organic“ bezeichnen. Was bei Lebensmitteln funktioniert, gilt scheinbar auch für Cannabis: Bio boomt. Ohne Zusätze, ohne Chemie, kein Zucker, wenig Fett.
Ich entscheide mich aber für das Tutti Frutti Kush. Ob chemisch gedüngt oder nicht, es schmeckt hervorragend. Seine Wirkung schickt meine Blicke durch das Lokal, lässt mich die Bilder an den Wänden sehen. Sie sind alle von lokalen Künstlern, wie mir Maria erklärt. Seit 25 Jahren ist Katsu Coffeeshop und Galerie. Auch ein Weg, um sich in der Nachbarschaft beliebt zu machen. Ganz hinten im Laden finde ich hinter einer Glasscheibe sogar einen Kunstgarten. Ein paar Blumen vor einer Wand mit Graffiti. Straßenszenen aus Amsterdam, die den freien, weltoffenen Charakter der Stadt heraufbeschwören. Wird die Zeit das alles ändern? Sieht es hier bald wie in „bürgerlicheren“ europäischen Großstädten aus? Sauber, anständig, aufpoliert? So schwarz dürfe man das nicht sehen, meint Maria. Politiker wechseln, und Amsterdam hat schon viele von ihnen überlebt. Jeder müsse halt dazu beitragen, die Zukunft der Stadt zu gestalten. Darauf zünde ich mir direkt noch einen an.
Philipp B.
Dieser Artikel stammt aus der grow! Ausgabe 6-2016. Wir veröffentlichen hier aus jeder neuen Ausgabe unseres Print-Magazins vier vollständige Artikel - erst als Leseproben, acht Wochen später als vollständige Texte, gratis für alle. Falls du diese Ausgabe nachbestellen möchtest, schau doch mal in unseren Shop. Alternativ findest du die Ausgabe auch als ePaper zum bequemen Lesen auf deinem Smartphone, PC oder Tablet.
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