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5 Jahre Cannabis als Medizin

22.09.2022 12:01
von grow! Magazin
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Medizin

Bilanz nach fünf Jahren Verschreibbarkeit

Am 10. März 2017 trat das „Cannabis als Medizin-Gesetz“ in Kraft. Vor allem Patientinnen und Patienten wissen, dass diesem Augenblick ein langer und steiniger Weg vorausgegangen war. Seither dürfen Ärztinnen und Ärzte ganz legal Cannabis verschreiben – und die Krankenkassen müssen zahlen. Voraussetzung ist dabei, dass alle anderen Behandlungsmöglichkeiten ausgeschöpft sind. Betroffene knüpften große Hoffnungen an die Gesetzesänderung. Nach fünf Jahren wird nun Bilanz gezogen.

Als der deutsche Bundestag am 19. Januar 2017 die Freigabe von Cannabis auf Rezept beschloss, wurde neben der Änderung der betäubungsmittelrechtlichen und weiterer Vorschriften auch festgelegt, dass das Bundesamt für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) mit einer „nicht-interventionellen Begleiterhebung zur Anwendung von Cannabisarzneimitteln“ beauftragt werden sollte. Zu diesem Zweck übermitteln Ärztinnen und Ärzte dem Bundesamt seither entsprechende Daten, natürlich in anonymisierter Form. Der vorgegebene Zeitraum von fünf Jahren ist inzwischen vorbei, die Begleiterhebung wurde am 31. März 2022 beendet. Die Ergebnisse werden auch deshalb mit Spannung erwartet, da sie unter anderem auch die Grundlage für den Gemeinsamen Bundesausschusses sein werden, um innerhalb von sechs Monaten die künftige Übernahme der Behandlungskosten im Rahmen einer Cannabistherapie nach dem Sozialgesetzbuch (SGB) V regeln soll.

 

Zweifel an Aussagekraft der Erhebung

Bereits 2019 und 2021 wurden vom BfArM einzelne Zwischenauswertungen veröffentlicht. Diese beschäftigten sich allerdings häufig nicht mit Cannabisblüten, sondern mit dem Cannabisderivat Dronabinol (THC) – was auch vonseiten diverser Experten und Verbände kritisiert wurde. Das Bundesamt selbst bewertet die zwischenzeitlich gewonnenen Erkenntnisse auf seiner Internetseite als „weitestgehend erwartbare Resultate“. Dementsprechend sei bis dahin der häufigste Grund die Behandlung aufgrund der Diagnose Schmerz gewesen. Die abschließende Auswertung werde aufgrund der bis dahin verfügbaren größeren Menge an Datensätzen jedoch differenzierter ausfallen. Dies wiederum wird von zahlreichen Kritikern bezweifelt.

Daher zieht nicht nur das BfArM Bilanz: Um mit zusätzlichen Informationen die Perspektive zu erweitern, startete der Verband Cannabis versorgender Apotheken (VCA) eine eigene Befragung. Durchgeführt wurde die ergänzende Begleiterhebung vom Berliner Start-Up Copeia. Vom 17. Januar dieses Jahres an konnten Patientinnen und Patienten mit Rezept für ein Cannabisarzneimittel hierbei anonym Angaben zu ihrem Therapieverlauf machen. Die Befragung endet am 30. April. Eines der erklärten Ziele ist, durch die Informationssammlung indikationsspezifische Muster und Zusammenhänge aufzeigen.

Das Bestreben, alternativ bzw. ergänzend eine weitere Befragung durchzuführen, gründet nicht zuletzt in der anhaltenden Kritik am Studiendesign der offiziellen Begleiterhebung. Diverse Experten kritisierten dieses bereits zu Beginn als nicht überzeugend und letztlich wenig aussagekräftig. Insbesondere für den Therapieverlauf einer Behandlung mit Cannabisblüten und -extrakten fehlten im Vergleich zum wesentlich stärker gewichteten Dronabinol wichtige Informationen, so die Kritik. Zudem wird bemängelt, dass nicht einmal ersichtlich sei, wie viele Ärztinnen und Ärzte die Begleiterhebung ausgefüllt haben und wie viele nicht. Auch ist es aufgrund der Anonymisierung nicht möglich, fehlerhafte oder unvollständige Datensätze zu ergänzen.

Laut der Kritik, mit welcher auch Copeia die zusätzliche Patientenbefragung begründet, bestehen große Abweichungen. Diese würden im Vergleich der bisher vom BfArM als Zwischenstand veröffentlichten Daten, denen des GKV-Spitzenverbandes und den Copiea vorliegenden Informationen offensichtlich: Laut BfArM lag im Oktober 2021 der Anteil an Patientinnen und Patienten, welche anstatt der diversen anderen Darreichungsformen Cannabisblüten anwenden, bei nur 18 Prozent. Die GKV zählt dagegen 32 Prozent, während Copeia Privatpatientinnen und Patienten sowie Selbstzahlende mitzählt und auf ganze 76 Prozent kommt. Auch der Vergleich der Zahlen von Dronabinolanwendern zeigt große Unterschiede: Laut BfArM nutzen erstaunliche 65 Prozent das Derivat, bei der GKV sind es nur noch 35 Prozent und Copeia kommt gerade einmal auf 7 Prozent. Man merkt schnell, worin die Zweifel an der Brauchbarkeit der offiziell gesammelten Daten begründet sind.

 

Großer Nachbesserungsbedarf

Grundlegend ist festzustellen, dass sich die Versorgungssituation deutscher Cannabispatientinnen und -patienten eindeutig verbessert hat. In den Kindertagen der ärztlich begleiteten Therapie mit medizinischem Cannabis hatten Betroffene hierzulande – nach einem mitunter jahrelangen, zermürbenden Papierkrieg mit dem BfArM – schließlich nur eine sehr begrenzte eine Auswahl verschiedener Sorten. Zudem machten regelmäßige Lieferengpässe eine konstante Versorgung oftmals unmöglich. Hier hat sich einiges getan: Inzwischen existieren auf dem Markt rund 150 unterschiedliche Cannabissorten und 60 verschiedene Extrakte.

Doch natürlich gibt es auch noch diverse große Baustellen. Der Patientinnen und Patienten wie auch unserer Leserschaft seit Langem bekannte Arzt und engagierte Befürworter von medizinischem Cannabis Dr. Franjo Grotenhermen wurde anlässlich des Ablaufs der fünf Jahre im Januar von Juri Sonnenholzner für den SWR interviewt und benannte dabei auch eines der nach wie vor bestehenden Probleme: die Kosten. Cannabisblüten werden nach der deutschen Arzneimittelpreisverordnung wie Rezepturarzneimittel behandelt – mit der Folge, dass die hiesigen Preise deutlich über dem Niveau anderer Länder liegen. Dies ist nicht nur für viele Patienten mehr als problematisch, die Verordnungen von Cannabis führen auch zu entsprechendem finanziellen Mehraufwand seitens der Krankenkassen.

Direkt damit verknüpft ist ein weiterer, für zahlreiche Patientinnen und Patienten besonders relevanter Punkt: die Kostenübernahme durch die Krankenkassen. Grotenhermen berichtet im Interview, dass Krankenkassen vor der Bewilligung Studien zur Wirksamkeit verlangen. Angesichts der Menge verschiedener Indikationen, bei welchen Cannabis eingesetzt werden kann, auf der einen und der nach wie vor unzureichende Studienlage ist diese Forderung oftmals nicht zu erfüllen: „Cannabis ist bei 100, 200 Indikationen wie Migräne, chronische Entzündung des Dickdarms, Muskelspastik oder ADHS wirksam“, erklärte Grotenhermen dem SWR. „Dann müsste man entsprechend viele große klinische Studien anfertigen, nur um eine zulassungsähnliche Situation zu haben. Dafür reichen die nächsten 20 Jahre nicht.“ Und so behalten sich die Kassen daher leider nicht selten vor, die Genehmigung einer Kostenübernahme nicht zu erteilen.

 

Organisationen fordern Verbesserungen

Grotenhermen ist aufgrund seiner Expertise und seines Engagements nicht nur gefragter Interviewpartner, sondern auch Geschäftsführer der International Association for Cannabinoid Medicines (IACM) sowie Mitgründer und Vorsitzender der deutschen Sektion, der Arbeitsgemeinschaft Cannabis als Medizin e.V. (ACM). Diese forderte Anfang März gemeinsam mit dem Selbsthilfenetzwerk Cannabis Medizin (SCM) deutliche Verbesserungen an der gegenwärtigen Regelung. Damit bekräftigen sie Forderungen, welche Vertreterinnen und Vertreter des ACM und weitere Expertinnen und Experten gemeinsam mit Mitgliedern des Deutschen Bundestags (von SPD, Grünen, FDP und der Linken) bereits im Mai vergangenen Jahres gestellt hatten.

In dem damals vorgelegten Positionspapier hieß es: „Nach wie vor haben zahlreiche Patient*innen keinen legalen Zugang zu einer Behandlung mit Cannabis-basierten Medikamenten, selbst wenn hierfür ärztlicherseits eine Indikation gestellt wurde. Mehr noch: diese Patient*innen werden auch heute noch kriminalisiert, wenn sie die einzige, ihnen offenstehende Alternative einer Selbsttherapie mit Straßencannabis wählen.“ Der Vorstand des ACM bekräftigte nun anlässlich des fünfjährigen Bestehens des Gesetzes noch einmal, dass die Forderungen des Papiers nach wie vor aktuell seien. Ähnliche Kritik ließ der SCM verlauten: „Die Erwartungen an das Gesetz haben sich nur zum Teil erfüllt. Viele Patient*innen finden keinen Kassenarzt, der die Behandlung übernimmt, oder kämpfen oft jahrelang vergeblich für eine Kostenübernahme einer Cannabistherapie. Teure Privatärzte können sich die meisten nicht leisten. Viele bleiben daher unbehandelt oder werden weiterhin in die Illegalität gedrängt.“

Sowohl die Arbeitsgemeinschaft als auch das Selbshilfenetzwerk fordern eine deutliche Senkung der Abgabepreise für Cannabis in Apotheken. Auch der oben bereits erwähnte Genehmigungsvorbehalt der Krankenkassen müsse abgeschafft werden. Dies sei notwendig, „damit die Therapiehoheit in den Händen der behandelnden Ärzt*innen bleibt“. Zudem müssten die Regressdrohungen gegenüber diesen gegenüber beendet werden – ebenso wie die derzeitige Handhabung, Sucht- und psychische Erkrankungen pauschal als Grund für eine Ablehnung für eine Kostenübernahme zu werten.

Neben Forderungen nach einem stärkeren Angebot an Fortbildungen und der Etablierung des Themas im Medizinstudium steht auf der Liste auch nach wie vor die nach einer Beendigung strafrechtlicher Verfolgung von Personen mit einer ärztlich gestellten Indikation für eine cannabisbasierte Therapie. Dass dies auch nach fünf Jahren noch gefordert werden muss, ist für Betroffene ebenso unbegreiflich wie die nach wie vor bestehenden Problematik in Sachen Cannabismedizin und Führerschein. Dementsprechend steht im Forderungskatalog auch, dass Cannabispatientinnen und -patienten im Hinblick auf den Straßenverkehr doch bitte genauso behandelt werden sollen wie Personen, die andere Medikamente einnehmen.

So erfreulich es also ist, dass Ärzte seit fünf Jahren eine legale Möglichkeit haben, Cannabisblüten und -medikamente auf Rezept zu verschreiben – es besteht nach wie vor dringender Handlungsbedarf. Was die offizielle Begleiterhebung letztlich auch immer ergeben mag, die Baustellen sind offensichtlich und werden von Betroffenen und Organisationen klar benannt. Hoffnung macht der bevorstehende drogenpolitische Paradigmenwechsel: Die Ankündigung einer Legalisierung von Cannabis zu Genusszwecken für Erwachsene stimmt zumindest optimistisch, dass sich hierzulande in Sachen Cannabis mittelfristig noch so einiges bewegen wird. Wir hoffen im Sinne aller Patientinnen und Patienten, die von einer Behandlung mit Cannabis profitieren können, dass der Zugang zu dieser Therapiemöglichkeit künftig weiter erleichtert wird und Repressionen und Kriminalisierung bald ein Ende finden mögen.

Dieser Artikel stammt aus der grow! Ausgabe 03-2022. Wir veröffentlichen hier aus jeder neuen Ausgabe unseres Print-Magazins vier vollständige Artikel - erst als Leseproben, acht Wochen später als vollständige Texte, gratis für alle. Falls du diese Ausgabe nachbestellen möchtest, schau doch mal in unseren Shop.

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