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Kostenübernahme: Fehlstart des Cannabis-Gesetzes
Das im März verabschiedete Gesetz zu medizinischem Cannabis ist zumindest auf dem Papier eines der fortschrittlichsten weltweit. Dem Gesetz zufolge soll Cannabis als letzte Option eingesetzt werden, wenn herkömmliche Therapien nicht erfolgreich waren, kann aber auch früher verabreicht werden, sofern es der Arzt für richtig hält.
Vor Einführung des neuen Gesetzes gab es ein wenig mehr als 1000 Patienten (unter ihnen der Autor dieses Beitrags). Nachdem deren Krankengeschichte und Bedürftigkeit zum Erlangen der Ausnahmeerlaubnis von diversen Medizinern, darunter das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM), geprüft und bestätigt worden war, durften diese kleine Gruppe Medizinal-Hanfblüten für 15 Euro/Gramm aus der Apotheke beziehen. Kurz nach Inkrafttreten des neuen Gesetzes wurden diese Ausnahmegenehmigungen ungültig. Die ehemaligen Inhaber müssen seitdem von ihrem Arzt ein Cannabis-Rezept, das den Bedarf für vier Wochen deckt, erhalten, um weiterhin legal versorgt werden zu können. Mit einem Privatrezept muss der Patient die Medizin nach wie vor selbst bezahlen, selbst bei Bewilligung der Kostenübernahme ist eine nachträgliche Erstattung von Privatrezepten bisher ausgeschlossen. Ein Kassenrezept hingegen garantiert die Kostenübernahme durch die Krankenkasse, wenn die Kasse die Bedürftigkeit nachvollziehen kann. Hält die Kasse die Therapie für unangebracht, entscheidet der Medizinische Dienst der Krankenkassen (MDK) über das Wohl des Patienten. Weil ein Arzt, der ohne vorheriges grünes Licht der Krankenkasse ein Kassenrezept ausstellt, riskiert, auf den Kosten von derzeit 23 bis 25 Euro/Gramm sitzenzubleiben, zögern die meisten, die begehrten Kassenrezepte auszustellen. Die Kassen wiederum verlangen, dass ihr Vertragsarzt die Therapie unterstützt. Ein Dilemma, das derzeit auf dem Rücken der Patienten ausgetragen wird.
Gesalzene Preise
Der Preisanstieg von 15 auf derzeit bis zu 25 Euro pro Gramm erschwert den Patienten ohne Zusage der Kostenerstattung die Fortsetzung ihrer Therapie zudem in erheblichen Maße. Die Apotheker weisen alle Schuld von sich und verweisen in diesem Zusammenhang auf die komplizierte Gebührenordnung im deutschen Gesundheitswesen. Cannabis sei mit dem neuen Gesetz eine Rezeptursubstanz geworden und müsse demnach umgepackt, nach deutschen Standards etikettiert und dosiert (also zerkleinert) werden, bevor sie der Patient ausgehändigt bekommt.
Selbst wenn der behandelnde Arzt „nicht zerkleinert“ vermerkt, verzichten die Apotheken zwar aufs Grinden, aber die Gebühr bleibt gleich. Der Vorgang beträgt knapp 10 Euro pro verkauftem Gramm. Dr. Franjo Grotenhermen hatte sich aufgrund der unerwarteten Preispolitik vor wenigen Wochen im Namen seiner Patienten in den Hungerstreik begeben. Mittlerweile hat Grotenhermen seinen Hungerstreik beendet, ohne jedoch den Disput mit dem Deutschen Apothekerverband gelöst zu haben.
Zahl der Patienten hat sich vervielfacht
Drei Monate nach Einführung des neuen Gesetzes wurde zudem klar, dass die Anzahl von Cannabis-Patienten sehr schnell ansteigt. Deshalb ist „Cannabis flos“ in den Apotheken seit Juli 2017 oft ausverkauft. Das liegt auch daran, dass gleichzeitig Tausende Patienten wenigstens ein paar Gramm Cannabis von ihrem Arzt auf Privatrezept verschrieben bekommen haben, um erst einmal die Illegalität zu verlassen. Trotz der hohen Preise sind bei vielen Sorten Lieferengpässe aufgetreten. Ende Juni waren in den meisten Apotheken nur drei bis vier der insgesamt 14 Sorten lieferbar. Kurzum, statt eine Regelversorgung garantiert zu bekommen, stehen viele Patienten mit dem Gesetz ohne Medizin da, und viele Sorten sind ausverkauft, weil der Bedarf trotz der erwähnten Hürden anscheinend viel höher ist als erwartet.
Allein bei zwei der größten Versicherungen hatten bis Mitte Juli über 3100 Patienten einen Antrag zur Kostenübernahme für ärztlich verordnetes Cannabis gestellt: Die Techniker Krankenkasse hat bislang als einzige konkrete Zahlen zu diesen Anträgen veröffentlicht. Demnach waren dort bis zum 7. Juli 2017 insgesamt 863 Anträge zur Kostenerstattung eingegangen, von denen 522 genehmigt und 341 abgelehnt wurden. Bei Deutschlands größter Krankenkasse, der AOK, seien bis zum selben Zeitpunkt rund 2300 Anträge eingegangen, wobei hier keine Zahlen über die abgelehnten Anträge vorliegen. Über die hohe Dunkelziffer derer, die bei den beiden anderen großen sowie zahlreichen kleinen Versicherungen die Übernahme der Kosten beantragt haben, ist bislang nichts bekannt. Angesichts der Zahl der insgesamt in Deutschland Versicherten liegen die Schätzungen von Experten hier bei einigen Tausend. Auch zu Patienten, die sich nach Inkrafttreten des neuen Gesetzes ein Cannabisrezept auf Privatkosten haben ausstellen lassen, ohne dessen Erstattung zu beantragen, gibt es bislang noch gar keine Statistiken. Maximilian Plenert ist Vorstandsmitglied im Bundesverband für akzeptierende Drogenarbeit und humane Drogenpolitik (akzept e.V.) und berät als Sachverständiger für medizinisches Cannabis im Deutschen Bundestag. Plenert erklärt, er schätze auf Grundlage der ihm vorliegenden Zahlen und Rückmeldungen, dass seit Einführung des Gesetzes derzeit etwa 10.000 Patienten auf die eine oder andere Art medizinische Cannabisblüten aus der Apotheke erhalten haben.
Derzeit liegen zahlreiche Berichte Betroffener vor, die sich aktuell auf längere Wartezeiten bei der Versorgung mit ihrer Medizin einstellen müssen. Manche der aktuell nicht lieferbaren Sorten sind gar nicht zu bekommen, bei anderen müssen wochen- oder gar monatelange Wartezeiten eingeplant werden. Denn die Betroffenen benötigen nicht einfach nur “Cannabis flos”, sondern eine oder mehrere spezielle Sorten, die über ein spezifisches Wirkstoffprofil verfügen. Zudem konnten und können viele seit Inkrafttreten des neuen Gesetzes ihre Therapiekosten bei einem Preis von 23 bis 25 Euro/Gramm selbst dann nicht mehr finanzieren, wenn die richtige Sorte in ausreichender Menge vorhanden ist.
Wieder entscheiden die Gerichte
Ich bin offiziell seit 2011 Cannabis-Patient und war bis vor Kurzem Inhaber einer Ausnahmeerlaubnis, mit der ich bis zu 90 Gramm Cannabis pro Monat erwerben durfte. Das konnte ich mir bei einem Preis von 15 Euro/Gramm nicht immer leisten, habe aber trotzdem versucht, meine Therapie, so gut es ging, mit Cannabis aus der Apotheke zu bewerkstelligen. Also habe ich mir im März, kurz nach Inkrafttreten des Gesetzes, ein Privatrezept ausstellen lassen, weil meine Hausärztin, wie vorab erwähnt, Bedenken hatte, mir ohne Zusage der Krankenkasse ein Kassenrezept auszustellen. Gleichzeitig habe ich mit meiner abgelaufenen Ausnahmegenehmigung und mehreren ärztlichen Gutachten einen Antrag auf Kostenerstattung bei meiner Versicherung eingereicht.
Erst als ich das Privatrezept Mitte März 2017 in der Apotheke einlösen wollte, habe ich von der als Gebühr getarnten Preiserhöhung um knapp 50 % erfahren. Ich habe das Rezept nicht eingelöst und auf einen positiven Bescheid der Krankenkasse gehofft. Doch die Kasse hat eine Kostenerstattung abgelehnt und den Fall dem MDK zur Prüfung übergeben. Der hat mich nicht mal angeschaut oder befragt und nach zwei Wochen per Gutachten festgestellt, meine drei Ärzte lägen falsch und ich könne auf medizinisches Cannabis verzichten. Derweil war ich bereits seit sechs Wochen auf illegale Quellen angewiesen. Der nächste Schritt war demzufolge eine Eilklage aufgrund einer medizinischen Notlage gegen meine Kasse, die mein Anwalt postwendend eingereicht hat. Vier Wochen später, und nach zahlreichen eidesstattlichen Erklärungen und Gutachten, war es dann soweit: Die Versicherung muss bis mindestens Dezember 2017 oder bis zum Urteil in der Hauptverhandlung die Kosten für 90 Gramm Cannabis pro Monat übernehmen – falls ihr umgehend eingelegter Widerspruch gegen die Anordnung erfolglos ist.
In der Hauptverhandlung wird dann endgültig entschieden, ob die Krankenkasse auch über 2017 hinaus die Kosten für die Behandlung meiner chronischen Krankheit übernehmen wird. Eigentlich sollten solche Klagen mit dem neuen Gesetz verhindert werden. Sollten die Kassen nicht umdenken, deutet allerdings vieles darauf hin, dass die Sozialgerichte jetzt erst recht Anlaufstelle für abgelehnte Cannabis-Patienten werden.
Der Eigenanbau bleibt ein Politikum
Eigentlich wollten über 130 ehemalige Inhaber einer Ausnahmeerlaubnis ihre Medizin lieber selbst anbauen und hatten das auch beantragt. Im März wurden alle Antragsteller aufgefordert, die Anträge zurücknehmen, da das neue Gesetz eine Regelversorgung mit Cannabis garantiere. Abgesehen davon, dass es aktuell Lieferengpässe, statt einer Regelversorgung gibt, treibt die aktuelle Preispolitik für medizinisches Cannabis die Preise so hoch wie in keinem anderen Land auf der Welt.
Die Kosten für meine monatliche Therapie würden sich beim Eigenanbau auf circa 150 Euro belaufen, während für meine Therapie mit Apotheken-Cannabis in Deutschland 2052 Euro zu bezahlen wären. Die gleiche Menge derselben Medizin würde in den niederländischen Apotheken oder in Kanada zwischen 500 und 600 Euro kosten. Derzeit gewinnen immer mehr Patienten ähnliche Klagen wie die meine gegen ebenjene Krankenkassen, die medizinisches Cannabis trotz eindeutiger Gesetzeslage grundsätzlich ablehnen. Eigentlich sollte es nicht Sache der Versicherung sein, den Patienten und Ärzten die Therapie vorzuschreiben oder diese gar zu behindern. Gerade weil die Preise um 400 % über denen des EU-Nachbarlandes Niederlande liegen, müssen die Spitzenverbände der Kassen im Sinne einer vernünftigen Preispolitik endlich mit den Produzenten, Großhändlern und Apotheken in Verhandlungen treten, anstatt die Umsetzung des Gesetzes zu ver- oder wenigstens zu behindern.
Michael Knodt
Dieser Artikel stammt aus der grow Ausgabe 5-2017. Wir veröffentlichen hier aus jeder neuen Ausgabe unseres Print-Magazins vier vollständige Artikel - erst als Leseproben, acht Wochen später als vollständige Texte, gratis für alle. Falls du diese Ausgabe nachbestellen möchtest, schau doch mal in unseren Shop. Alternativ findest du die Ausgabe auch als ePaper zum bequemen Lesen auf deinem Smartphone, PC oder Tablet.
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