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Frank Dellé: Ein Gespräch über Glück & die Lust auf Rasenmähen
Anfang Juni traf ich mich mit Frank Dellé, um mit ihm über sein zweites Solo-Album NEO zu sprechen. Dellé, dessen ‚Tagesjob‘ es sonst ist, bei Seeed den Mann fürs Englische zu geben, ist an diesem Tag die Freude ins Gesicht geschrieben: Die Albumcases und Booklets von NEO sind frisch eingetrudelt; die ersten Live-Auftritte machten Lust auf mehr – und seine Leute sind überaus zufrieden mit dem neuen Material.
Vor 6 Jahren stand Dellé uns schon einmal Rede und Antwort (siehe grow! 2-2010); damals erzählte er uns von seiner Kindheit in Deutschland und Ghana, wie er Reggae lieben lernte – und wie sehr er es genießt, ein bestimmtes Reggae-Klischee zu zerstören: Mit Cannabis hat er nämlich nicht so wirklich was am Hut …
grow! 6 Jahre sind seit ‚Before I grow old’ vergangen. Bist du in der Zwischenzeit ein ‚alter Mann‘ geworden?
Dellé: (lacht) Alter Mann nicht, nein, nein! Ich bin 6 Jahre älter, mit 6 Jahren mehr Erfahrung und 6 Jahre reifer. Aber: Trotzdem kann ich mit 46 immer noch Kind sein. Ich hab immer noch das Gefühl – ich bin ja Toningenieur von Beruf –, wenn ich als das gearbeitet hätte, würde ich mich jetzt ‚älter‘ fühlen. Unser Beruf hält uns halt ganz schön jung. Wir können immer noch so wie Kinder ’spielen‘, wenn’s denn noch funktioniert und man davon irgendwie leben kann. Es ist schon so, dass ich wie in meinem gelernten Beruf jeden Tag rackern kann – nur, dass ich das tue, was ich liebe. Mehr hab ich mir auch nie erwünscht und erträumt: Ne coole Familie, coole Frau, tolle Kinder, so ein bisschen wie im Märchen.
grow! Du beziehst also viel Kraft und Inspiration aus deiner Familie? Und hast dort auch so eine Art ‚Happy Place‘, wo du arbeitest?
Dellé: Zum Glück, das ist wahr. Bis jetzt ist es ganz gut gegangen … ich kenne da andere, die auch länger verheiratet sind, wo jetzt gerade alles auseinanderbricht. Man sollte eine gute Familie also nicht für selbstverständlich erachten. Gerade bei uns Musikern, die viel unterwegs sind – wir schweben da manchmal in luftigen Höhen. Um das tun zu können, brauche ich die Kraft von unten, über diese Wurzel, meine Familie.
grow! Klingt nicht spießig. Klingt eher erstrebenswert …
Dellé: Ja, spießig ist eher, wenn man Bock kriegt auf Rasenmähen. Nach Rock am Ring (lacht).
grow! Mit dem Alter kriegt man ein Auge für solche Details! Aber Frank, du konntest deine neuen Songs unlängst in Kassel schon live austesten – wie kommen die Stücke bei den Fans an?
Dellé:Tatsache ist, wir haben zwei Wochen geprobt, hatten ein kleines Family-und-Friends-Festival, und das war richtig geil. Man hat gemerkt: Das kann man sowohl auf der Waldbühne spielen oder auf dem Acker – egal, es funktioniert. Und dann hatte ich beim ersten Konzert gleich technische Probleme, mit Mikrofon-Aussetzern und so. Und wenn du dich als Sänger nicht hören kannst, kannst du dir vorstellen, ist das mit das Schlimmste …
Insgesamt kommt es aber sehr gut an. Wir haben jetzt viel mehr Potential, mit Stücken aus der alten Platte und den neuen Sachen; können daraus natürlich auch eine viel interessantere Show machen. Wenn du nur eine Platte hast, da musst du schon stricken … Das zweite Konzert ist jetzt dieses Wochenende in Saarlouis, dann kommt auch schon Summerjam – da freue ich mich besonders drauf, weil es so der Bereich ist, wo die Style-Polizisten gucken ‚Ja, was gibt’s denn neues?‘
grow! Einige Titel auf NEO, wie etwa ‚Light your Fire‘ oder ‚Take your Medicine‘, zeichnen ein eher düsteres Bild. Was kannst du uns darüber erzählen?
Dellé: ‚Light your Fire‘ haben wir als erstes rausgebracht, weil es ein Thema ist, das mich sehr lange beschäftigt. Mir ging es darum, dass ich wie ein Kind herangehe, das seine Mama und seinen Papa fragt ‚Warum töten wir uns denn, wenn es um die Nächstenliebe geht?‘
Ich fragte mich, wie kann ich das gut singen und so rüberbringen, dass es nicht wie eine Binsenweisheit klingt? Deswegen hab ich das Stück ganz reduziert geschrieben. Es geht wirklich um die Propheten, Mohammed, Moses, Jesus – Muslims, Jews, Christians, ganz simpel, ohne tiefere, krasse Ebene. ‚Fighting for the Bible by a Gun, in the name of the Qu’ran blow up a bomb – that’s wrong‘. So behaupte ich. Und für das Video: Alle Leute, die hinter der Aussage stehen – stellt euch mit eurem Gesicht hin! Ich habe ganz viele Leute gefunden. Und in der Recherche darüber auch dieses House of One in Berlin, die das schon seit zwei Jahren betreiben, wo der Imam und der Priester auf der Grundlage von Gemeinsamkeiten eine Kirche bauen. Und dann passierte das mit Paris …
grow! Das Video entstand schon vor den Anschlägen von Paris?
Dellé: Nein, das Video kam danach, aber der Song entstand im März – und auf einmal ist das medial so präsent. Und ich denke mir, wenn ich das nicht sofort rausbringe, sagt mir doch hinterher jeder, ich würde die Situation ausnutzen um ein Video zu promoten. Ich sagte ‚Wir müssen unbedingt dieses Lied rausbringen‘, und wir haben dann echt innerhalb einer Woche die Leute gefunden, haben es fertig gekriegt und zum Glück noch relativ früh rausgebracht. Das hat mich sehr glücklich gemacht, weil ich finde, dass das Video den Zusammenhang nochmal besser darstellt. Die Leute müssen den Text verstehen – und dann kam die Idee mit den Schildern. Das ist pur, einfach ganz normale Gesichter, Menschen wie du und ich.
Das ist ein Beispiel, wo ich sagen würde, es ist düster. Das zweite Beispiel ist ‚Take your Medicine‘, wo ich als 22-Jähriger eben diese Psychose von einem Freund erlebt habe. Wir waren da zu viert über ein Wochenende bei den Eltern von einem, nix mit Drogen oder so, einfach ein tolles Wochenende mit Freunden. Und morgens wacht der eine auf … und, to make a long story short, er schenkt mir alles und sagt: ‚Das ist alles nichts wert, es geht doch um die Freundschaft‘. Das war erst ein Tuch, das er mir geschenkt hat, und ich freute mich noch so, und dann ging das immer so weiter, er schmiss seinen Pass weg, zog alles aus, war nackt, sagte: ‚Ey, das existiert doch alles nicht, es existiert nur unsere Freundschaft …‘
Weißt du, wie es ist, wenn jemand so abdriftet? Ich habe das noch nie vorher gesehen und kannte das auch nicht … und später lag der Typ dann im Krankenhaus, fest angebunden wie im Film und musste Psychopharmaka schlucken. Und wurde dick, der Körper veränderte sich, er wollte das absetzen, keinen Bock mehr drauf, und dann irgendwann … wurde er wieder rückfällig. So. ‚Take your Medicine‘, das ist das einzige, was du machen kannst, das ist die einzige Regel, sonst kannst du nicht leben. Und das war so ein starker Eindruck …
Und dann hörte ich diesen Beat, den Guido mir schickte, und ich dachte ‚Scheiße … jetzt ist das Ding da. Das ist der Beat zu dem Song‘. Und dann hab ich in einer Nacht diesen Song gemacht.
grow! Vor 6 Jahren hast du uns im Interview erzählt, dass du aufgrund deiner Art und auch deiner Erziehung mit Cannabis nichts anfangen kannst.
Dellé: Dass ich nicht kiffe, ja.
grow! … aber mit einer Legalisierung auch einverstanden wärst.
Dellé: Auf jeden Fall, das sehe ich immer noch so.
grow! Das wäre jetzt die Frage gewesen: Hat sich bei dir, als zweifacher Vater, an dieser Einstellung etwas geändert?
Dellé: Nein, überhaupt nicht! Dass das immer noch so ein Thema ist in einem Land, in dem so viel Alkohol getrunken wird und so viele Drogen genommen werden? Ich bin eben jemand, der auf Kontraste steht und es liebt, Klischees zu brechen. Weißt du, der Afrikaner, der Bayerisch spricht oder der Weiße, der Afrikaans spricht. Diese Kontraste. ‚Du hast noch nie gekifft?‘, diese Frage wurde mir schon immer gestellt. Nee, hab ich nicht (lacht genüsslich).
grow! Bleib dabei!
Dellé: Denn wenn ich jetzt nur einmal gekifft hätte, dann könnte ich das nicht mehr sagen! Und ich glaube, das hat mir einen größeren Turn gegeben, als wenn ich einmal … weißt du? Aber bei meiner Umgebung war ich wahrscheinlich schon so oft passiv dabei, dass ich nicht sagen könnte, ich hätte was gegen Cannabis. Es ist eher wie so ein durchgezogener Joke, der bis jetzt funktioniert hat.
grow! Du hast oft betont, dass du froh bist, in zwei sehr verschiedenen Kulturen aufgewachsen zu sein – der deutschen und der ghanaischen. Wie gehst du damit um, dass sich plötzlich hierzulande wieder so viele für rassistische Politik und Nationalismus zu begeistern scheinen?
Dellé: Wie soll ich sagen, es geht nicht an mir vorbei, definitiv nicht. Ich mach mir schon Gedanken, wenn ich mit meiner Tochter nach Brandenburg fahre, an den See oder so. Meine Frau ist Ostberlinerin, für sie sind das einfach schöne Landschaften, aber ich sehe schon das Bild im Kopf: Ich sitze da am See und dann kommt ne Horde Skins entlang und spuckt meine Tochter an.
Wie gehe ich damit um? Ich persönlich hab sehr großes Glück gehabt, dass mir schwerer Rassismus noch nie widerfahren ist, sogar im Gegenteil: Ich hatte durch mein anderes Aussehen immer Vorteile in meinem Leben. Aber in Berlin merke ich: Damit gehöre ich anscheinend zu einer Minderheit. Wenn ich dreimal aufs Maul gekriegt hätte, wäre ich wahrscheinlich total anders drauf. Keine Ahnung, es hat sehr viel mit Zufall und dem Weg, wie er mir passiert ist, zu tun – dass ich noch eine gewisse Unschuld haben darf, weil ich Glück hatte, dass mir diese schlimmen Dinge nicht passiert sind.
Was mir aber auch klar ist, ist, dass Rassismus, Ablehnung, Angst vor Ausländern und dieses ganze Ding kein deutsches Problem ist. So sind die Menschen, so sind wir, immer wieder, überall. Und ich glaube, dass es sehr, sehr laute Stimmen in Deutschland gibt, die aufstehen und was dagegen sagen. Das ist die Prüfung. Und wenn ich sehe, wie – ohne dass ich jetzt hier politisch werden will – die Merkel sich so lange traut, so eine Politik zu machen, in einer männerdominierten politischen Welt, dann hebe ich meinen Hut davor. Weil es klar ist, dass das nichts ist, was die Mehrheit will – denn die Mehrheit reagiert wie Horden halt reagieren, wenn sie sich bedroht fühlen. Von wegen Weiterentwicklung seit der Steinzeit … da glaube ich überhaupt nicht dran. Ich glaube, wir sind immer noch die selben Horden, und wir haben einfach Glück, in einer Zeit groß geworden zu sein, in der es keinen Krieg gab. Wir hören nur immer davon. Dass wünsche ich mir, dass wir nie riechen wie Krieg ist, weißt du … (klatscht in die Hände). Keine Ahnung. Ich überschlage mich. Schaum vorm Mund. Ich glaube aber immer noch daran, dass wir es meistern werden. Ich werde es über die Musik versuchen.
grow! Die Vernunft wird siegen.
Dellé: Ja, wird sie! Ich muss den Schlusspunkt finden, was?
grow! Keine Sorge, den finde ich beim Zusammenschneiden – Frank, vielen Dank für das Gespräch!
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