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Gras und Legal Highs hinter Gittern
Als das Dresdner Boulevard-Blatt „Mopo24“ vor einer Weile von einem Häftling berichtete, der in der JVA Görlitz beim Anbau von Gras erwischt worden war, konnte man eigentlich davon ausgehen, dass der Typ ziemlich bescheuert gewesen sein muss. Wer glaubt schon ernsthaft daran, dass das geschulte Wachpersonal eine Pflanze, die dazu noch extrem stark riecht, in einer Mini-Zelle übersieht? Kein Wunder also, dass der verhinderte Grower sich dann wegen der Hanfpflanze und einem späteren Fund von 0,2 Gramm Cannabis aus der Haft heraus vor Gericht verantworten musste. Der wegen Drogenhandels zuvor zu zweieinhalb Jahren verurteilte Mann sagte aus, er habe das Gras angebaut und geraucht, weil er zu Jahresanfang beim Konsum von Legal Highs fast zu Tode gekommen wäre. Trotz Abstinenz-Gelübde wurde die Haftzeit des 39-Jährigen vom Gericht wegen Anbaus und Besitzes von Cannabis um sechseinhalb Wochen verlängert.
(Dieser Artikel stammt noch aus der Zeit vor dem "Stoffgruppenverbot" in Deutschland, welches Ende 2016 in Kraft trat -Anm.d.Red.)
Auch hinter Gittern legal?
Die Sache mit den Legal Highs klingt erst einmal nach einer bescheuerten Ausrede, aber angesichts der fatalen Nebenwirkungen so mancher Kräutermischung könnte sogar etwas dran sein. Der Vorfall wirft aber eine ganz andere Frage auf: Wie legal, verfügbar und verbreitet sind eigentlich Legal Highs im Knast? Zumindest sind die, die das Betäubungsmittelgesetz noch nicht erfasst, nicht automatisch verboten. Heißt das jetzt, dass man im Gefängnis einfach so Legal Highs paffen und ziehen kann, ohne, wie bei illegalen Drogen, mit strafrechtlichen Konsequenzen rechnen zu müssen? Deutschlands Knäste sind ohnehin wahre Drogenhochburgen, wo nicht einmal die Verfügbarkeit illegaler Substanzen kontrolliert werden kann, und erst recht nicht die von legalen. Zwar hat jede JVA eine eigene Hausordnung, die den Konsum aller Drogen, ganz gleich, ob legal oder illegal, untersagt. Aber der Besitz illegaler Substanzen wird ungleich stärker sanktioniert als der selbst angesetzte Wein oder das eingeschmuggelte Handy. Wie aber sieht es wohl mit Badesalzen und Räuchermischungen aus, die, genau wie Alkohol und Handys, nicht gesetzlich verboten sind?
Wer könnte das besser wissen, als die Pressestelle der JVA Görlitz, wo der verhinderte Gras-Bauer mit Legal-High-Aversion einsitzt? Deren Pressesprecher wollte anfangs zwar gerne weiterhelfen, durfte dann aber nach Rücksprache mit der Anstaltsleitung auf einmal folgende Fragen gar nicht mehr beantworten:
In der Presse wird ein Vorfall erwähnt, bei dem der Mann, der derzeit in der JVA eine Haftstrafe verbüßt, im Januar einen Atemstillstand aufgrund des "Kaufs von falschen Kräutern" erlitten habe. Können Sie das bestätigen?
Gab oder gibt es in der JVA Görlitz Zahlen zu Funden sogenannter "Legal Highs"?
Falls die Angaben im Presseartikel stimmen: Um welche Art "falscher Kräuter" hat es sich damals gehandelt?
Nur der Anstaltsleiter sei berechtigt, der Presse diesbezüglich Auskunft zu erteilen. Die Presseanfrage hatte der pflichtbewusste Pressesprecher dann auch gleich an den Chef weitergeleitet. Der heißt Frank Hiekel und antwortet auch vier sowie acht Wochen später nicht auf eine erneute Anfrage zu Legal Highs in seiner Anstalt. Auch telefonisch war Herr Hiekel zwölf Wochen lang nicht erreichbar. Dabei scheint die JVA in Görlitz bei Weitem nicht die einzige Justizvollzuganstalt zu sein, in der sich Häftlinge ganz legal mit den gefährlichen Kräutermischungen regelmäßig in komatöse Zustände versetzen. In Baden-Württemberg beschäftigt das Thema bereits den Landtag, während in Sachsen anscheinend weggeschaut wird. „In jüngerer Zeit sind insbesondere im Vollzug an jungen Gefangenen auch zunehmend Vorkommnisse aufgrund des Konsums sogenannter„Legal Highs“ zu verzeichnen, die zu unkontrolliertem Verhalten der Gefangenen und aufwändigen medizinischen Maßnahmen führen“, heißt es in einer Stellungnahme des Justizministeriums vom April des vergangenen Jahres. Weil die Kräuter und Salze oft gar nicht illegal sind, werden über Legal-High-Funde, anders als bei anderen Drogen, auch keine gesonderten Statistiken geführt – es wird auch nicht zwischen den diversen Substanzen unterschieden. Das wäre allein schon für eine Notfallversorgung dringend geboten, denn oft wissen die Ärzte gar nicht, was der Patient genommen hat. Bei Koks, Speed oder Heroin ist klar, welches „Gegengift“ der Körper braucht, bei „K2“, Spice“ oder „Jamaican Gold“ ist die Behandlung einer Überdosierung ungleich schwieriger, weil der Name zwar toll klingt, die enthaltene Substanz aber meist nicht bekannt ist. Deshalb wäre eine Transparenz seitens der Anstalten bei Legal Highs noch wichtiger. Nur dann könnte man überhaupt einschätzen, ob eventuell sogar ein flächendeckendes Problem vorliegt und wie man damit umgehen muss, um weitere Gesundheitsschäden bei den Betroffenen zu vermeiden.
Noch bigotter ist, dass Überdosierungen und Gesundheitsschäden durch Legal Highs statistisch auf das Konto von Cannabis gehen. Die offizielle Diagnose, die dem Statistischen Bundesamt gemeldet wird, lautet nicht Cannabiskonsum, sondern findet sich unter dem Code ICD-10 F12.: „Psychische und Verhaltensstörungen durch Cannabinoide“. Das ist die gleiche Statistik, die Regulierungs-Gegner neuerdings gerne anführen, um eine „steigende Anzahl von Krankenhausaufenthalten wegen Cannabis“ zu belegen. Eine Erfassung der von Streckmitteln betroffenen Konsumenten sowie deren Symptomen, gibt es trotz dringendem Bedarf andererseits bei den staatlichen Statistikern nicht. Schaut man sich die Statistiken der letzten zehn Jahre einmal genau an, so schnellt der Anstieg der Krankenhausaufenthalte zeitgleich mit dem Auftauchen der Räuchermischungen und von gestrecktem Gras Mitte des letzten Jahrzehnts immens in die Höhe. Über keines der beiden Phänomene gibt es separate, medizinische Daten, alles kommt in den Topf „zu viel gekifft.“
Gibt es in der JVA Görlitz weder ein Problem mit solchen Substanzen noch Legal-High-Funde, fragt man sich, weshalb der Pressesprecher nach Rücksprache mit dem Boss nicht mehr antworten darf. Totschweigen und mangelnde Transparenz tragen sicher wenig zur Lösung des Legal-High-Problems bei, das seit seinem Auftauchen jetzt schon mehr Tote gefordert hat als Cannabis in mehreren Jahrtausenden.
In England berichtet die BBC
Während das Problem bei uns weitgehend totgeschwiegen wird, ist in Großbritannien die BBC schon 2015 aufmerksam geworden. Dort sollen bereits mehrere Personen an den Folgen des Legal-High-Konsums verstorben sein. Ein Gefängnissprecher beklagte in dem Bericht, dass Legal Highs zu Gewalt und Destabilisierung innerhalb der Strafanstalten führen.
Auch das neue Stoffgruppenverbot, das die Bundesregierung einem Bericht der „Ärztezeitung“ zufolge für 2016 plant, wird nicht nur von vielen Verfassungsrechtlern abgelehnt. Die Kritiker mahnen, ein Stoffgruppenverbot könne die Freiheit der Forschung, insbesondere der medizinischen, einschränken. (Das Stoffgruppenverbot wurde schließlich beschlossen und trat im November 2016 in Deutschland in Kraft - Anm.d.Red.) In Großbritannien, wo ein solches Verbot bereits besteht, hat sich an der Verfügbarkeit der Substanzen zudem kaum etwas geändert. Außerdem würde das Stoffgruppenverbot die Entwicklung so ziemlich aller Mittel betreffen, die auf das Endocannabinoidsystem wirken: Viele sogenannte Anandamid-Hemmer gehören zu den gleichen Stoffgruppen wie viele Legal Highs. Bei dem Arzneimittelversuch in Rennes, bei dem in Januar 2016 ein Mensch starb und mehrere ins Koma gefallen waren, war mit BIA 10-2474 genau so eine Substanz im Spiel. So haben die Pharma-Unternehmen Merck, Pfizer, Johnson & Johnson und Vernalis jetzt schon einige ähnliche Substanzen am Menschen erforscht (zum Beispiel: „MK-4409“, „PF-04457845“, „JNJ-42165279“ und „V158866“), die in Zukunft als Schmerzmittel, entzündungshemmende Mittel oder als Appetitzügler eingesetzt werden könnten. Der FAAH-Hemmer URB 597 wurde sogar von Kadmus Pharmaceuticals medizinisch erforscht und in einschlägigen Foren als psychoaktives Legal High beschrieben. Ein Stoffgruppenverbot würde die Entwicklung solcher Medikamente behindern und das Problem lediglich verlagern. Denn selbst, wenn ein Stoffgruppenverbot kommen sollte, kann das, wie die Briten beweisen, schnell durch Schaffung neuer Gruppen umgangen werden.
Das Verbot von Cannabis hat wesentlich zur Verbreitung dieser Substanzen als Rauschdrogen beigetragen. Solange aber der Besitz einer Graspflanze und 0,2 Gramm Gras mit sechs Wochen Haftverlängerung geahndet wird, während der Besitz von Kräutermischungen und Badesalzen keine strafrechtlichen Konsequenzen für die Einsitzenden nach sich zieht, wird es noch mehr Atemstillstände hinter Gittern geben. Nur ein rationaler Umgang mit Cannabis, der einen regulierten Markt und effektiven Jugendschutz zum Ziel hat, wird die gefährlichen Kräutermischungen und Pülverchen wie von selbst verschwinden lassen - nicht nur aus den Knästen.
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Kommentare
Kommentar von Petey Green |
Hi(gh)
Im Knast bekommst du alles was du willst...wie im "echten Leben" :) nur total überteuert!!!
Crystal, Gras/Hasch, Kräuter (legal highs), Heroin,....du bekommst die ganze Palette!!! Kein Problem!
Die bayrische Polizei hat nun (K)narrenfreiheit, aber der Staat schafft es nicht einmal die, auch bayrischen, Gefängnisse sauber zu halten!! :) :) :)
Ich spreche (leider) aus Erfahrung, war im Knast in Nürnberg....
Wie gesagt...man bekommt alles ;)
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