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Medizinisches und legales Freizeitmarijuana in Nevada
Free Pot! Klar ist nichts klar
Phil Jenkins ist ein Alt-Hippie, wie er im Buche steht: lange, strähnige Haare, ein ungepflegter Bart und wenige Zähne. Aber ein Lächeln, das einen umwirft. Phil hat 1967 den Aufbruch in San Francisco miterlebt, er hat mit dem legendären Ken Kesey ein paar Runden in dem berühmten LSD-Bus „Furthur“ gedreht, und er hat den Sommer der Liebe genossen. Großartig! Aber an seinem Heimatstaat Nevada lässt er kein gutes Haar.
„Nevada hatte die schlimmsten Pot-Gesetze der ganzen USA“, erzählt er verbittert. „Die haben dich für einen Joint in den Knast geworfen.“
Eine Reaktion muss mich verraten haben, denn Phils Augen verengen sich und er taxiert mich etwas schärfer.
„Kein Scheiß, den ich erzähle“, sagt er. „Das ist mir passiert. Die Gefängnisstrafen haben mein Leben versaut. Wegen ein bisschen Gras!“
Phil hat recht. Das ist verrückt. In manchen Staaten der USA gelten die harten Marijuana-Gesetze noch immer. Aber zum Glück gibt es Veränderungen in Nevada. Von den Neuerungen, die mit einem steinigen Weg einhergehen, erzählt dieser Artikel. Was geht in Nevada und was nicht? Dos and Dont’s. Mit praktischen Tipps, wie man 2017 und ab 2018 den Urlaub in Nevada genießen kann.
In der Medical Marijuana Dispensary „The Grove“ werde ich, im Gegensatz zu anderen THC-Verkaufsstellen, mit offenen Armen vom Manager willkommen geheißen. Das ablehnende Verhalten der anderen wundert mich. Mit Absagen des Las Vegas Police Departments und der Staatsanwaltschaft Las Vegas hatte ich gerechnet. Die Staatsmacht will sich nicht in die Karten schauen lassen. Aber dass Dispensaries mit Ablehnung reagieren, zeigt, wie sensibel die rechtliche und praktische Situation ist. Umso dankbarer bin ich für die Willkommenskultur, die in „The Grove“ herrscht und dass hier die Mauer des Schweigens durchbrochen wird.
„Wir sind die Marijuana-Tankstelle, die am nächsten am Flughafen McCarran International liegt“, erzählt mir Chris Henschel, der interessiert in meiner grow! blättert. „Cooles Magazin mit tollen Bildern, da läuft einem das Wasser im Munde zusammen“, sagt er, während er die Hochglanzbilder betrachtet.
Stimmt, der internationale Flughafen liegt nur wenige Meter von „The Grove“ entfernt. Auch im THC-Business gilt die Immobilien-Binsenweisheit Lage, Lage und nochmals Lage. Natürlich muss die Qualität der Produkte stimmen, sonst nützt die beste Lage nichts. Chris ist sicher, jeden User zufriedenzustellen.
„Wir haben die besten Produkte der Stadt zu fairen Preisen“, rührt der Manager die Werbetrommel. „Egal, was die Herzen unserer Kunden begehren: Ob wunderbare Blüten, Schokoladenriegel, Gummibärchen, Getränke, wir haben alles. Für Leute, die es gediegen angehen, gibt es Crèmes, die entspannen lassen und die Haut pflegen“, zählt er einen Teil der Produktpalette auf.
Wenn ich mir die im Wartezimmer sitzende Kundschaft ansehe und das gediegene Ambiente des Ladens anschaue, mag das mit der Qualität der Ware zutreffen. Alles schön, clean und neat. Das lässt auf ein gutes Management des Ladens schließen. Aber wie sagt man so schön: Auch andere Mütter haben schöne Töchter. Oder in unserem Fall: Auch andere Dispensaries haben gutes Gras.
„Was versprecht ihr euch von der Legalisierung von Recreational Marijuana?“, lasse ich ihm bewusst die Möglichkeit, in jede Richtung zu antworten.
Seine Antwort war vorhersehbar, denn wir sind im Mutterland des Kapitalismus. Hier dreht sich alles um den Dollar.
„Wir rechnen mit einer Verdopplung des Umsatzes“, antwortet Chris und strahlt, als ob Weihnachten und Ostern auf denselben Tag gefallen wären. „Das wird uns helfen zu expandieren.“
Doch so weit ist es noch nicht, das wird noch ein Weilchen Wunschdenken bleiben. Als ich „The Grove“ verlasse, stelle ich fest, dass mein Magen knurrt. Das Gerede über Gras und andere THC-haltige Produkte hat mich hungrig gemacht. Zum Glück gibt es in der Nähe einen „Subway“. Ich habe das Gefühl, verfolgt zu werden. Ach was, beruhige ich mich, vermutlich habe ich zu viel „Drogen im Visier“ auf „National Geographic“ gesehen. Doch mein Gefühl hat mich nicht getrügt. Denn als ich mich mit meiner Bestellung an einen Plastiktisch setze, tritt ein junger Mann dazu und baut sich vor mir auf. Was will der denn jetzt? Obacht! Aber falsch gedacht.
„Bist du der Typ, der gerade in „The Grove“ war?“, will der blonde Mann wissen.
Ich nicke.
„Quinten aus Belgien“, stellt er sich vor und setzt sich zu mir.
Jetzt bin ich gespannt. Was soll das denn? Will der mir was verticken? Oder mir Angst einjagen?
„Ich dachte, dem Typen muss ich helfen“, klärt Quinten mich auf.
Ich ahne, dass ich zufällig eine Quelle aufgetan habe.
„Wir Europäer müssen zusammenhalten.“
Wenn er meint, mir soll’s recht sein, solange er mich mit soliden Informationen versorgt.
„Ich kann dir einen Arzt empfehlen, der dir innerhalb von 5 Stunden einen Medical Marijuana Pass ausstellt“, behauptet Quinten.
Was denn jetzt? Ich stehe auf dem Schlauch. Ist Marijuana in Las Vegas Nevada legalisiert oder nicht? Oder gibt es nach wie vor „nur“ Medical Marijuana? Bei einer solch unsicheren Gemengelage lohnt sich ein Blick auf die Fakten. In den USA galt jahrelang die Policy, dass jeder, der lediglich mit einem noch so kleinen Joint erwischt wird, hinter Gitter muss, zumindest für eine Nacht. Meist kam man dann auch schnell wieder raus, wenn man die richtige Hautfarbe und das Geld für einen Anwalt hatte. Manchmal bedeutete aber ein Joint auch Weggesperrtwerden für lange Zeit. Das Einsperren der unendlich vielen Kiffer in den USA verschlang Unsummen an Steuergeldern und war unsinnig. Aber Gesetz war Gesetz und musste vollzogen werden und so mancher Redneck-Sheriff und Redneck–Cop hatte an nichts mehr Freude, als die langhaarigen Hippies von den Straßen zu fegen. Die Zeit für eine gravierende Änderung der Marijuana-Gesetzgebung war überfällig. Und so hatten die pragmatisch denkenden Amerikaner ein Einsehen. Am 8. November 2016 wurde in Nevada für die Freigabe von „Recreational Marijuana“ gestimmt. Aber „Sin City“, die Zockermetropole dieser Welt schlechthin, tut sich schwer mit der völligen Legalisierung von Gras. Das hat – so wird gemunkelt – den folgenden Hintergrund: Die Casino-Lobby macht Front gegen die THC-Legalisierung. Denn während betrunkene Menschen dazu neigen, ihr gesamtes Familienvermögen in den mit roten Teppichen und Kronleuchtern ausgestatteten Zockerpalästen zu verjubeln, fürchtet man Umsatzeinbußen, denn Studien zufolge zocken Kiffer weniger und vorsichtiger als Trinker, was aber erst noch zu beweisen wäre. Und nun versucht die mächtige Casino-Lobby, die Polizei und das Gesetz auf ihre Seite zu ziehen. Doch das Rad der Geschichte lässt sich nicht mehr zurückdrehen. Denn inzwischen gilt, dass in Las Vegas und Nevada jeder eine Unze Gras (etwas über 28 Gramm) legal besitzen darf. Jedoch wollen die Kasinos kein Gras in ihren heiligen Hallen und beziehen sich deshalb auf das Bundesgesetz der Vereinigten Staaten. Das besagt nämlich, dass Glücksspiel erlaubt ist, aber THC verboten ist – unabhängig von den gesetzlichen Regelungen in den Bundesstaaten der USA. Und so verwundert es nicht, dass die Nevada Gaming Commission beschlossen hat, dass Casinos keine Geschäfte jedweder Art mit Unternehmen der Cannabisindustrie machen dürfen. Und den Casino-Gästen ist der Konsum von Marijuana in den Spielhöllen und auf den Hotelzimmern verboten.
Was bedeutet diese Ausgangslage für Touristen, die 2017 einen Trip in die Wüste nach Sin City oder in den Grand Canyon planen und die auch im Urlaub nicht auf ihr Chiller-Tütchen am Abend verzichten wollen? Eigentlich ist das „Recreational Marijuana“ per Gesetz erlaubt. Das heißt, wie gesagt, dass jeder bis zu einer Unze Gras straffrei besitzen darf. Und kein Cop in Sin City oder im Gebiet des Grand Canyons kann dagegen was tun. Das Problem ist für die Touristen, an das Gras heranzukommen. Denn obwohl Marijuana bereits für Freizeitzwecke gesetzlich erlaubt ist, gibt es keine „Recreational Marijuana Dispensaries“, die eröffnet haben. Natürlich gibt es Straßendealer, aber erstens ist da nie gewiss, welche Qualität einem angeboten wird und zweitens ist das illegal. Wenn man dabei beim Kauf erwischt wird, bedeutet das Gefängnis. Diese nicht zufriedenstellende Situation hängt mit Faktoren zusammen, die schwer nachzuvollziehen sind. Insbesondere ist unklar, wie der Staat Nevada den Grasverkauf besteuern möchte. Und das wird ein Jahr (!) dauern. Dahinter vermuten nicht wenige eine Strategie des Staats Nevada – unterstützt durch die Casino-Lobby –, den Verkauf von Recreational Marijuana so lange wie möglich hinauszuzögern. Und damit wird – einer Demokratie unwürdig, aber gängige Praxis – der durch Volksabstimmung verkündete Wille der Bevölkerung von Nevada mit Füßen getreten.
Bleiben wir bei 2017. Was kann man tun, um sich den Nevada-Aufenthalt zu versüßen? Da ist guter Rat teuer und den wollen wir nach bestem Wissen und Gewissen liefern. Und beim Stichwort guter Rat kommt Chris von „The Grove“ ins Spiel, denn er hat Interesse daran, dass der Umsatz seines Ladens nicht gering ausfällt. Chris steht stellvertretend für beinahe 40 „Recreational Marijuana Dispensaries“, die es im Großraum Las Vegas gibt. Dabei bestätigt er, was Quinten, der freundliche Belgier, mir mitgeteilt hat.
„Wir arbeiten mit Ärzten aus Kalifornien zusammen“, fängt Chris das Prozedere zu erklären an. „Diese Typen sind aufgrund der dort herrschenden Gesetzeslage schnell und können innerhalb von einem Tag einen Medical Marijuana Pass ausstellen.“
Die Aussage erstaunt mich, zaubert mir ein ungläubiges Lächeln auf die Lippen, und dennoch merkt Chris mir meine grundsätzliche Skepsis irgendwie an. Denn es kommt mir komisch vor, dass die Dispensaries sich derart für ihre Kunden reinhängen.
„Das geht online und über das Telefon, da ist kein persönlicher Kontakt nötig“, erklärt Chris. „Am besten wäre es also für Touristen aus Europa, gleich am ersten Tag ihres Urlaubs in Nevada einen solchen Pass beantragen zu lassen. Wir helfen ihnen gerne dabei. Das ist kein Problem. Und dann können Sie damit gleich am nächsten Tag zu uns kommen und einkaufen.“
Wieder erkenne ich in Chris‘ Worten diese eigentümliche Dialektik vom pragmatischer Hilfsbereitschaft und dem Drang, viel Geld herauszuschlagen. Aber lieber einer Dispensary, die ihre Produkte in Labors prüfen und überwachen lassen, mein Bestes anvertrauen, als zum nächstbesten Straßendealer zu rennen. Also eigentlich okay. Oder? Aber es gibt da eine Sache zu klären.
„Was kostet es, wenn ich mir auf diese Art und Weise einen Pass ausstellen lasse?“, möchte ich wissen, denn mir schwant, dass die Amerikaner auch hier auf ihren Profit bedacht sind. So funktioniert dieses Land eben. Die einzige Farbe, die hier was zählt, ist grün, grün, grün.
„Das ist unterschiedlich und hängt von dem Doktor ab, mit dem wir zusammenarbeiten“, gibt Chris sich wachsweich.
„Das heißt dann genau was?“, lasse ich aber nicht locker.
„Das kostet zwischen 60 und 80 Dollar. Aber nicht mehr. Versprochen.“
Damit ist die Katze aus dem Sack. Der Pass ist mindestens für ein halbes Jahr gültig, manchmal sogar für ein ganzes Jahr. Dennoch ist das eine Investition, die erst einmal getätigt sein will, ganz zu schweigen von dem damit verbundenen Aufwand, auch wenn Chris mir versichert, dass das gar kein Aufwand sei und seine Dispensary den administrativen Kram gerne für ihre potenziellen Kunden übernehme.
„Für die Einwohner Nevadas dauert das länger“, versucht Chris mich aufzuheitern, „und es ist genauso teuer.“
Hm, na gut. Aber ein Blick auf die im Warteraum hängende, riesige Menükarte zeigt mir auch, dass manche Bürger Nevadas preislich gegenüber den Touristen im Vorteil sind. Ehemalige Angehörige der United States Army (damit sind wohl alle Waffengattungen und Truppenteile gemeint) erhalten einen Preisnachlass von bis zu einem Drittel. Und kommt dann eine Schwerbehinderung dazu, kostet das Gras so gut wie nichts mehr, manchmal nur 25 Prozent des Ausgangspreises. Darüber hatten Quinten und ich bei unserem Mittagessen im „Subway“ ein paar makabere Witze gerissen. Obwohl wir beide überzeugte Pazifisten sind, hatte sich Quinten dennoch zu dem Witz hinreißen lassen „Man sollte US-Soldat und schwerbehindert sein. Dann kriegt man sein Leben lang Gras – beinahe umsonst und von der Regierung. Wo gibt es denn so was?“ Klar, in den good old USA. Doch zurück zum Ernst der Lage.
Die Notwendigkeit, einen Medical Marijuana Pass beantragen zu müssen, wird in etwa einem Jahr entfallen. Denn dann werden die ersten „Recreational Marijuana Dispensaries“ eröffnen (Januar 2018). Aber selbst dann sind noch nicht alle Steine für einen genussvollen, gechillten und reibungslosen Kiff-Tourismus, wie er zum Beispiel in den Niederlanden möglich ist, aus dem Weg geräumt. Denn die „Recreational Marijuana Dispensaries“ verkaufen dann zwar ab Beginn des Jahres 2018 legal den guten Stoff von Mutter Natur an Einheimische und Touristen. Aber es handelt sich dabei eben nur um reine Verkaufsstellen. Und das damit verbundene Problem ist, dass es in den Verkaufsstellen keinerlei Möglichkeiten gibt, das erworbene Gras auch zu konsumieren. Da sind holländische Coffee-Shops im Vorteil. Zumal die soziale Kohäsion stiftenden Gemeinschaftsräume, in denen die User zusammen rauchen und kommunizieren, wichtig für den menschlichen Zusammenhalt und das individuelle Wohlergehen sind, das wissen die Niederländer.
Und wieder lässt mich Quinten an seinem Erfahrungsschatz teilhaben.
„Ich reise nur in Länder, in denen Cannabis legal ist“, erzählt er mir voller Ernst und Stolz. „Als mein Bruder mich dann anrief und fragte, ob ich zu ihm nach Amerika kommen möchte, habe ich aufgrund der neuen Gesetzeslage sofort zugesagt. Aber da habe ich noch nicht alle nötigen Informationen zusammengehabt.“
Geheimnisvoll deutet Quinten an, dass sein Bruder und er erfolgreich in der Porno-Branche unterwegs sind – ganz global. Das ist ein Business, das ich überhaupt nicht mag, aber Quinten ist dennoch ein netter und cooler Typ. Und er lässt mich wissen, dass er sich eine Finca in Kolumbien gekauft hat, denn dort wurde bekanntlich Marijuana vor Kurzem auch legalisiert und es ist jedem in Kolumbien Ansässigen erlaubt, bis zu siebzehn Pflanzen selbst anzubauen. Nur mit Las Vegas in Nevada ist Quinten nicht wirklich glücklich, dabei könnte alles so paradiesisch sein.
„Du kriegst hier den absoluten Superstoff, wie kaum woanders, zu recht fairen Preisen, aber du kannst ihn nirgendwo legal rauchen.“
Okay, das ist harter Tobak und obwohl ich merke, dass es ihm ernst ist, fange ich zu lachen an, da das Ganze absurd wirkt.
„In dem Hotel, in dem ich wohne, gibt es nur Nichtraucherzimmer. Aber auch in Hotels mit Raucherzimmern darfst du das Zeug, wenn man es genau nimmt, nicht rauchen“, teilt er mir ziemlich verzweifelt mit. „Denn Hotelzimmer subsumiert das Gesetz unter öffentliche Räume und dort ist Kiffen strengstens verboten. Das ist gesetzlich gesehen dasselbe wie eine öffentliche Straße.“
Er runzelt die Stirn, bevor er fortfährt.
„Also habe ich mein Zeug heimlich auf dem Hotelparkplatz geraucht. Da hat mich aber der Wachmann rausgeschmissen und mir empfohlen, es auf der Straße zu rauchen. Mann, so ein Sturkopf. Anstatt genüsslich mit mir einen durchzuziehen, hat der mich doch glatt vom Parkplatz geworfen. Ich hätte meinen letzten Krümel mit dem geteilt. Aber der wollte vermutlich was Stärkeres oder er hatte schon zwei Abmahnungen erhalten.“
Der gute Rat des Security-Guys lässt sich nicht so einfach in die Realität umsetzen. Denn das Rauchen von Pot ist in Nevada in der Öffentlichkeit streng verboten, und was soll denn die Straße anderes sein als die Öffentlichkeit, wenn sogar ein Hotelzimmer ein Public Space ist? Und sollten die Cops einen dabei erwischen, wie man auf der Straße einen durchzieht, dann drohen – wenn es schlecht läuft – empfindliche Geldstrafen, und vor allem besteht dann die gesetzliche Grundlage, einem den mühsam erworbenen Medical Marijuana Pass zu entziehen. Dann war der ganze Aufwand umsonst, die Kohle zum Fenster rausgeworfen und Ärger mit dem Gesetz gab es obendrein. Wobei der letzte Punkt ja unter anderem genau der wäre, warum man zum Kiffen nach Nevada käme – um sich dabei keinen Ärger mit der Staatsmacht in einem fremden Land einzuhandeln.
„Du darfst hier Gras ausschließlich in deinen eigenen vier Wänden rauchen“, fährt Quinten fort. „Soll ich mir deshalb für die paar Monate, die ich hier sein werde, ein Haus kaufen?“, fragt er völlig zu Recht.
Quinten nimmt es nämlich mit dem Gesetz ziemlich genau. Er möchte keinen Ärger bekommen. Das wäre schlecht für ihn und für sein Business.
„Dann probier’s doch mit Edibles“, will ich ihm aus der Klemme helfen und erinnere mich noch voller Freude an die beiden Schokoriegel, die ich in Colorado völlig legal erworben hatte, genau 14 Tage, nachdem Recreational Marijuana dort legalisiert worden war, und die mich ins schönste Nirwana beamten.
Denn auf diesem Gebiet sind uns die Amerikaner haushoch überlegen. Wenn man daran denkt, wie wenig Auswahl es zum Beispiel in Amsterdam in dieser Hinsicht gibt – mir fallen hier lediglich Spacecakes, Gras-Tees, Hasch-Kakaos und lächerliche Lollies ein – und dies mit der Produktpalette vergleicht, die Chris zu Beginn des Artikels aufgezählt hat (Schokoladenriegel, Gummibärchen, Getränke aller Art und sogar Cremes und Lotionen) und die bei weitem noch nicht vollständig ist, dann scheint die europäische Cannabis-Industrie meilenweit hinter der amerikanischen hinterherzuhinken. Aber Quinten winkt unwirsch ab.
„Ich rauche das Zeug am Allerliebsten. Aber das ist hier, wie gesagt, gar nicht so einfach. Zumindest nicht, wenn man legal bleiben will.“
Andere scheinen damit weniger Probleme zu haben. Denn wenn man den berühmten Las Vegas Boulevard (Strip) entlang läuft, riecht es allenthalben nach Gras. Inmitten dieser irrealen Glitzer- und Glamourwelt haben sich inzwischen zahlreiche Bettler, User weicher und harter Drogen sowie Kriminelle eingefunden. Es scheint, als ob sie von der Polizei toleriert werden, denn sie rauchen ihre Joints, Chillums und Bongs in aller Öffentlichkeit, anscheinend ohne Angst, erwischt zu werden. Das ist ein seltsames Feeling: Während das „Bellagio“ mit phantastischen Wasserspielen aufwartet, das „Venetian“ durch seine italienische Renaissance-Architektur glänzt und der Trump-Tower wie überall auf der Welt durch seine plumpen Konturen und die goldene Fassade ins Auge sticht, mischen sich unter die normalen Besucher allerhand User weicher und harter Drogen. Und die meisten amerikanischen Vegas-Touristen, die aus irgendwelchen Käffern im Mid West stammen, zeigen sich angesichts des offenen Drogenkonsums irritiert bis schockiert. Wobei doch „Sin City“ nicht umsonst „Sin City“ heißt. Aber das scheint den Verstand des durchschnittlichen Mid-Westeners aus Oklahoma, Wyoming oder Idaho zu übersteigen. Klar kommen sie nach Las Vegas, um zu zocken, bis der Dispo voll ist und die Kreditkarte glüht, um zu saufen, bis ihnen die Birne vom Schädel fliegt und um in einem der unzähligen Strip-Clubs Orgien zu feiern, die sie in ihrer Heimat niemals feiern könnten. Aber Drogen? Marijuana? Pot? Fehlanzeige. Da fehlt jegliches Verständnis.
Die vollständige Legalisierung von Marijuana in Las Vegas ist ein heißes Eisen und nicht alle sprechen so offen wie Chris und Quinten darüber. In viele Dispensaries wurde ich nicht hineingelassen. Bei anderen wurde ich vertröstet, dass der Manager zu beschäftigt sei. Und in die heiligen Verkaufshallen lässt einen niemand, ohne dass man über einen gültigen Medical Marijuana Pass verfügt.
„Wir haben alle Angst, unsere Lizenzen zu verlieren“, erklärt mir Chris den Grund dafür. „Wenn wir jemanden ohne gültige Karte in die Verkaufsräume lassen, können sie uns sofort unsere Lizenz entziehen. Das wäre eine große Katastrophe.“
Denn die Dispensaries werden akribisch von den Gesetzeshütern überwacht. Manchmal schickt die Polizei Spitzel oder verdeckte Ermittler in die Läden, um die Gesetzestreue der Läden zu überprüfen. Dabei werden dann lukrative Test-Angebote gemacht. Es kam schon vor, dass V-Männer oder Undercover-Cops dem Personal der Dispensaries hohe Summen geboten haben, um ein Auge zuzudrücken und ohne gültigen Pass Gras herauszurücken.
„Das ist der Grund, warum alle Verkaufsstellen ähnlich sind“, erklärt Chris. „Wir haben alle Sicherheitspersonal am Eingang. Dort muss man seinen gültigen Ausweis vorzeigen, sonst wird man nicht hereingelassen. Nachdem diese Kontrolle passiert wurde, findet man sich in einem Wartezimmer – ähnlich dem einer modernen Arztpraxis – und muss sich bei der Rezeption anmelden. Da wird die Karte noch einmal gecheckt. Der Verkaufsraum ist meistens durch eine Panzerglastüre gesichert, die nur von innen und nach dem Okay von der Rezeption geöffnet werden kann.“
Das Panzerglas und die Wachmänner haben noch einen anderen Hintergrund. Denn die Dispensaries sind in den Fokus von Gangs und anderen Kriminellen geraten. In den Verkaufsräumen lagert immerhin Ware im Wert von Hunderttausenden von Dollars. So empfiehlt es sich, sich gut gegen Überfälle zu schützen.
„Organisierte Kriminalität und professionelle Raubüberfälle sind die eine Sorge, die wir haben. Aber es darf sich auch immer nur eine bestimmte Anzahl von Kunden in den Verkaufsräumen aufhalten. Sonst kriegen wir wieder Ärger mit dem Gesetz. Und manche Kunden sind von der unangenehmen Sorte und keine gechillten Raucher, die wir am liebsten zu unserem Kundenstamm zählen.“
Inzwischen haben Inhaber von Medical-Marijuana-Pässen einen lukrativen Nebenjob entdeckt. Das heißt vor allem solche, die auf härteres Zeug wie Crack, Crystal Meth oder Teer-Heroin stehen. Die Süchtigen nehmen dann Besorgungsaufträge von Personen an, die – aus welchen Gründen auch immer – nicht selbst über eine Berechtigungskarte verfügen. Und diese Klientel kommt total zugedröhnt in die Dispensaries. Natürlich wollen sie ihren harten Stoff so schnell wie möglich erhalten. Das tun sie aber erst, wenn sie das Geld haben und ihrem Klienten das gewünschte Produkt geliefert haben. Und wer auf Crack, Crystal oder Heroin ist oder einen Affen schiebt, dem sind Vorschriften über die zugelassene Anzahl von Kunden in den Verkaufsräumen der Dispensaries egal. Also auch deshalb Security-Men und Panzerglastüren.
Gegen solch unlautere Geschäfte können die Dispensaries nichts machen und auch die Gesetzeshüter stehen dem Phänomen ratlos gegenüber. Allerdings empfiehlt sich diese Vorgehensweise auf keinen Fall für Touristen. Denn natürlich wäre es ein Leichtes, vor einer Dispensary abzuhängen und einen jener besagten Abhängigen harter Drogen abzupassen, der in Besitz einer Medical Marijuana Card ist. Und natürlich würde diese Person nichts lieber tun, als gegen einen Obolus das zu besorgen, was sie wollen. Aber erstens stellt das wieder eine Straftat dar und zweitens wird man seinen „Freund und Helfer“ nur schwer wieder los. Denn das anfänglich servile Verhalten schlägt in gnadenlose Aggressivität um, da er möglichst viel Profit aus einem herausschlagen möchte. Und es gibt kaum etwas Lästigeres, als auf offener Straße verfolgt, beschimpft und gestresst zu werden. Also Finger weg davon! Da nehmen wir lieber die Vorschläge von Quinten und Chris auf und besorgen uns eine Medical Marijuana Card ganz legal bei einem kalifornischen Arzt. Als Gründe für die Beantragung reicht es aus, dass man angibt, dass man gestresst ist, schlecht schläft oder zu Kopfschmerzen neigt. Punkt. Mehr ist nicht nötig. Keine Atteste, keine Bescheinigungen, lediglich ein paar Angaben – ganz unabhängig von deren Richtigkeit.
Das Fazit des Las-Vegas-Trips ist zweigeteilt. Einerseits ist es toll, dass die Bevölkerung von Nevada für die Legalisierung von Recreational Marijuana abgestimmt hat. Andererseits ist eine gechillte Raucherreise nach Nevada noch nicht so optimal, dass deswegen ein Trip hierher zu empfehlen ist. Colorado, Oregon und Washington State sind auch schöne US-Bundesstaaten und hier ist alles besser und länger in die Wege geleitet als in Nevada, da eine komplette Legalisierung von Marijuana bereits vollkommen umgesetzt ist und es jede Menge Dispensaries für Recreational Marijuana gibt, in denen man sich mit seinem Ausweis (man muss über 21 Jahre alt sein) eindecken kann. Ich bin trotz der skeptischen Zwischentöne der Überzeugung, dass sich in Nevada im nächsten Jahr alles zum Besseren wenden wird. Auch die Casino-Lobby wird ein Einsehen haben und sehen, wie viel Geld in dem Business steckt. Dann wird es auch nicht mehr die Problematik mit dem stillen Örtchen für das Tütchen geben. Denn sicherlich feilen die Gesetzgeber später daran, dass in den Raucherzimmern der Hotels gekifft werden darf, wenn sie lernen, wie viel mehr dies an Steuereinnahmen bringen könnte. Das bleibt zu hoffen. Let it grow!
Björn Jörgensson
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